Demonstration gegen die Verschärfung des baden-württembergischen Polizeigesetzes

Vorbemerkung

Eine Verschärfung der Polizeigesetze fand und findet in vielen Bundesländern statt. In Baden-Württemberg wurde das Polizeigesetz zuletzt 2017 verschärft. Wir von Demobeobachtung Südwest stehen dem Thema dieser Proteste näher als bei anderen von uns beobachteten Demonstrationen: Auch wir sehen hier eine rechtliche Entwicklung, die u.a. die Wahrnehmung von Grundrechten nach Art. 8 GG in gefährlichem Ausmaß bedroht. Wir berichten genauso objektiv wie sonst, was wir gesehen und gehört haben.

Demonstration gegen die Verschärfung des baden-württembergischen Polizeigesetzes

in Stuttgart am Samstag, 13. 07. 2019, ca. 12.00 – ca. 15.00

Bei der Schlusskundgebung auf dem Schillerplatz in Stuttgart kam es – nach einer bis dahin störungsfrei verlaufenen Demonstration – zu einem starken Polizeieinsatz von ca. 100 behelmten Polizist*innen.

In den Tagen vor der Demonstration wurde zwischen Stadt und Veranstaltern um die Demoroute gerungen. Die letztlich durchgeführte Route konnte nur unter Androhung einer Klage durchgesetzt werden.
Die Demonstration begann um 12:55 nach Auftaktreden in der Lautenschlagerstraße. Die Demonstrant*innen aus vielen Gruppierungen (u.a. Fußballfans) waren zum Protest gegen Überwachung, Polizeibewaffnung zusammengekommen. Polizei war unsichtbar – außer den motorisierten Absperrungen an den Seitenstraßen und außer einiger Dreiergruppen des Antikonflikt-Teams.
Polizeiliches Filmen konnte nicht beobachtet werden. Es gab trotz einiger Rauchkörper u.ä. von jugendlichen Demonstrant*innen keine Beeinträchtigung durch die Polizei. Während der Zwischenkundgebung am Wilhelmsbau löste sich eine kleine Gruppe Demonstrant*innen zu einem Flash Mob heraus, um vor dem GRÜNEN-Büro in der Marienstraße auf deren Mitverantwortung für das Polizeigesetz aufmerksam zu machen. Dabei kam es zu heftigen verbalen Angriffen auf einen Vertreter der GRÜNEN, der an die Tür gekommen war. Ob diese aus der Mitte des kleinen Gruppe von Demonstrant*innen kam, erscheint eher zweifelhaft.
Gegen Ende der Demoroute musste die Polizei wegen eines Hindernisses die Route ändern – akzeptiert, ohne Widerstand seitens der Demonstration.
So fand in Stuttgart ein gut geleiteter, friedlicher Protest auf der Straße statt. Auch die Nähe zu anderen Veranstaltungen, besonders auf dem Marktplatz, erwies sich, anders als von der Stadt bzw. der Polizei befürchtet, als vollkommen unproblematisch. Die samstäglichen Passanten am Rand des Demonstrationszuges konnte man aufmerksam die verteilten Info-Papiere lesen sehen – so soll es sein. Einige Mitbürger*innen am Rand machten Bemerkungen, die ihre haarsträubende Unkenntnis der politischen Verhältnisse kundtaten. Auch deshalb sind Demonstrationen notwendig.
Das Justizministerium, der sog. Prinzenbau an der nordwestlichen Seite des Schillerplatzes, errichtet nach einem Entwurf von Heinrich Schickardt, war Bezugspunkt der Demo. Nachdem die Demonstrant*innen um kurz nach 14:00 den Platz gefüllt hatten, der Lautsprecherwagen in Position vor dem Fruchtkasten stand, versuchte eine Gruppe von Demonstrant*innen anscheinend ihr Großtransparent direkt vor dem Portal des Landesjustizministeriums aufzustellen. Ca. 15 Polizist*innen, die den Eingang des Ministeriums bewachten, hinderte die Gruppe in heftigem Abdrängen, was sich als Druck auf die daneben stehenden Demonstrant*innen auswirkte, so dass ein größerer Gegendruck gegen die abwehrende Polizei entstand – das ‚Gerangel‘ setzte sich mehrere Male fort. Von rechts, aus der Stiftstraße, und von links, aus dem Torbogen vom Schlossplatz her, wurde die Polizei verstärkt; es bildete sich eine Polizeikette über die gesamte Länge des Justizministeriums. Es wurde nun auch gefilmt. Nun drängten weitere Polizist*innen (ca. 25 – 30), aus dem Tordurchlass vom Schlossplatz her kommend, sich mitten in die Demonstration und bildeten eine Kette von der Ecke des Ministeriums bis nahe an das Schillerdenkmal und den Lautsprecherwagen; dazwischen blieb ein schmaler Durchgang frei. Die Demonstrierenden mussten das als Vorbereitung für eine Einkesselung verstehen, protestierten lautstark und wollten sich nicht wegdrängen lassen. Auch vom Lautsprecherwagen wurde die Polizei aufgefordert, die Durchführung der Schlusskundgebung nicht länger zu stören und den Platz zu verlassen. Tatsächlich zog sie sich wieder durch den Toreingang zurück – zu den Mannschaftswagen, die mit BFE markiert waren. Eingekeilt zwischen um die 1000 Demonstrant*innen hätte eine Einkesselung zu dem geführt, was dann beschönigend ein „robuster Einsatz“ genannt wird. So kam es weder zu Schlagstock- noch Pfeffersprayeinsatz.

Ob tatsächlich eine Flasche und 3 Farbbeutel (von denen dann keiner platzte) auf Polizisten geworfen wurden (so die Polizei lt. StZ am 13.7.) oder ob Polizisten bedroht worden sind (Polizei lt. swr vom 13.7.), wissen wir nicht; vom Standpunkt unserer Beobachter aus (näher am Schillerdenkmal als an der Wand des Ministeriums) war nichts Derartiges zu erkennen. Ob also höherwertige Rechtsgüter geschützt werden mussten und geschützt wurden („Situation geklärt“ so lt. StZ), die den massiven Eingriff in den Kundgebungsverlauf rechtfertigen konnten, bleibt also offen.

PM 1/19: Mannheimer Fridays-For-Future Bußgelder widersprechen Kinderrechtskonvention

Die Bürgerrechtsorganisation „Demobeobachtung Südwest“ sieht die Sanktionen gegen die Eltern von Friday-For-Future-TeilnehmerInnen als Verstoß gegen Artikel 15 der UN-Kinderrechtskonvention, die Deutschland ratifiziert hat und hofft auf gerichtliche Klärung.

Weil ihre Kinder durch die Teilnahme an einer Fridays-For-Future-Versammlung in Mannheim zwei Unterrichtsstunden versäumt haben, hat deren Schule ihren Eltern Bußgeldbescheide über 88.50 Euro ausgestellt. Das Regierungspräsidium Karlsruhe spricht von einer eindeutigen Rechtslage. Dem widerspricht Nero Grünen, Mitbegründer der Bürgerrechtsorganisation Demobeobachtung Südwest.

„Das Recht auf Versammlungsfreiheit für Kinder ist als Artikel 15 Teil der UN-Kinderrechtskonvention“, so Grünen, „Die Schulpflicht kann dieses Kinderrecht nicht verdrängen. Sie bezieht sich historisch auf die Pflicht der Eltern, ihre Kinder statt zur Arbeit zur Schule zu schicken und die Pflicht des Staats, geeignete Schulen kostenlos zur Verfügung zu stellen. Die Kinder hingegen haben ein Recht auf Bildung. Die Schulpflicht dient dem Schutz der Kinder, was hier ins Gegenteil verkehrt wird. Die Kinder können sich frei entscheiden, hier ihrem Recht auf Versammlungsfreiheit Vorrang zu geben. Eltern ein Bußgeld dafür zu erteilen, dass sie nicht versuchen ein Kinderrecht ihrer Kinder aktiv einzuschränken, ist absurd.“

„Ferner ergänzen sich hier Versammlungsfreiheit und Bildung eher, als dass sie konkurrieren, denn ein Besuch der Fridays-For-Future-Versammlungen ist förderlich für die staatsbürgerliche, politische und wissenschaftliche Bildung. Auch diese wichtigen Formen von Bildung müssten die Schulen und das Regierungspräsidium laut Artikel 28 und 29 der UN-Kinderrechtskonvention im Blick haben“, so Grünen weiter. „Eben weil Kinder beispielsweise von ihren Eltern oder der Schule oft fremdbestimmt sind und damit das Recht auf Versammlungsfreiheit Kindern oft erschwert wird, ist dieses Recht explizit als Kinderrecht aufgenommen worden. Wird die Versammlungsfreiheit ihnen nur zugestanden, wenn es den Eltern oder der Schule genehm ist, würde dieses wichtige demokratische Grundrecht für Kinder ausgehöhlt werden“, führt Grünen aus.

„Aufgrund der demographischen Schieflage und des Auswirkungen der Klimakrise auf ihr weiteres Leben sind möglicherweise weitere Kinderrechte berührt“, so Grünen abschließend, „namentlich Artikel 12, die Berücksichtigung des Kinderwillens, welcher sich bis jetzt in den politischen Entscheidungen kaum widerspiegelt, Artikel 17, dem Zugang zu Informationen, welche insbesondere durch die „Scientists for Future“ auf der Versammlungen verbreitet werden, und eben – ironischerweise – Artikel 28 und 29, welche eine qualitativ hochwertige und umfassende Bildung fordern.“

Grünen war Anfang Juli Teilnehmer eines Expertentisches zur Versammlungsfreiheit, welcher von der OSZE in Wien ausgerichtet wurde. Dort wurde auch am Rande über die Fridays-For-Future-Bewegung diskutiert. Einhellige Expertenmeinung war, dass die Kinder das Recht haben sich auch während der Schulzeit friedlich zu versammeln, insbesondere zu Anliegen die ihr Leben tiefgreifend betreffen, wie etwa der Klimakrise. Diese Meinung vertritt insbesondere Anita Danka, unabhängige Rechtsexpertin auf dem Gebiet der Menschenrechte und ehemalige leitende Beraterin für Versammlungsfreiheit bei OSZE/ODIHR (Senior Adviser on Freedom of Peaceful Assembly at OSCE/ODIHR), die auch bei dieser Pressemitteilung geholfen hat.

Versammlungsfreiheit in Deutschland und der Welt – Teil 1: OSZE-Demobeobachtung

Um den Stand der Versammlungsfreiheit in Deutschland beurteilen zu können, macht es Sinn den Blick zu weiten und sich international auszutauschen. Genau dies haben wir in den letzten vier Jahren betrieben und verarbeiten unsere Erfahrungen nun in einer Artikelserie, die hier mehr oder weniger wöchentlich erscheinen wird.

Von beiden großen übernationalen Organisationen, den Vereinten Nationen (UN) und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), gibt es Leitlinien zum Thema Versammlungsfreiheit. Diese Leitlinien (zu finden hier bzw. hier) gleichen sich sehr stark, weswegen wir nur die aktuellsten Empfehlungen der OSZE ins Deutsche übersetzt haben. Diese Empfehlungen werden ständig aktualisiert, gerade auch unter dem Eindruck des G20-Gipfels in Hamburg. Eine neue Version wird noch dieses Jahr erscheinen und wieder von uns übersetzt werden.

Um sich über die Situation in den verschiedenen Staaten auszutauschen, veranstaltet die OSZE, bzw. deren Unterorganisation ODIHR (Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte), zweijährlich runde Tische, an denen sich die Nichtregierungsorganisationen, die auf dem Gebiet der Versammlungsfreiheit tätig sind, austauschen. An diesem runden Tisch hat „Demobeobachtung Südwest“ bereits zweimal teilgenommen, beim letzten runden Tisch im Dezember 2018 zusammen mit „BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“ aus Göttingen.

Um Indikatoren für den Stand der Versammlungsfreiheit in den Mitgliedsländern zu erarbeiten hat das ODIHR einen ExpertInnenkreis einberufen, zu dem Demobeobachtung Südwest einen Gesandten schickt. Wir arbeiten dabei zusammen mit unseren Partnerorganisationen, insbesondere aus Göttingen und freiheitsfoo aus Hannover.

Mit unserer russischen Partnerorganisation „Moscow Helsinki group“ beginnen wir gerade eine Infrastruktur aufzubauen, um einen Index zur Versammlungsfreiheit, ähnlich dem Index zur Pressefreiheit, auf die Beine zu stellen.

Außer dem Voranbringen internationaler Projekte und besserer Vernetzung steht aber der inhaltliche Austausch im Vordergrund. Dabei hat sich immer wieder gezeigt, dass die gefestigten westeuropäischen Demokratien wie Deutschland, zwar häufig die versammlungsfreundlichere Gesetzgebung haben, dass aber Polizei und Ordnungsamt in der Praxis oft versammlungsfeindlicher gegenüber AnmelderInnen, VersammlungsleiterInnen, DemobeobachterInnen und VersammlungsteilnehmerInnen vorgehen, als beispielsweise in den jungen Demokratien Osteuropas. Insbesondere die Kritikfähigkeit des Polizeiapparats ist in Deutschland kaum vorhanden und es besteht kein auch nur ansatzweise adäquates, unabhängiges System, um Fälle von Polizeigewalt aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Laut ODIHR sind DemobeobachterInnen (assembly observers) elementar zum Schutz der Versammlungsfreiheit und zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, sie sollten deshalb von Polizei und Ordnungsamt unterstützt und nicht behindert werden. Auch hier sind die Polizeien anderer Staaten deutlich weiter als die deutsche Polizei. Alleine dieses Jahr wurde unsere Arbeit schon zwei mal massiv behindert. Selbst höchstinstanzliche Urteile zu unseren Gunsten scheinen sich nur bedingt auf die Praxis auszuwirken.

Diese Artikelserie, die nach und nach auf unserer Website erscheinen wird, beschäftigt sich damit, wie es in Deutschland um die Versammlungsfreiheit bestellt ist, wenn man den internationalen Vergleich und internationale Empfehlungen bemüht.

Demobeobachtung durch ODIHR

Die OSZE unterstützt nicht nur lokale NGOs, sondern sie führt als einzige internationale Institution selbst Demobeobachtungen durch.

Allerdings hat die OSZE nur dann eine Rechtsgrundlage für Beobachtungsmissionen, wenn ein Ministerialbeschluss des entsprechenden Mitgliedslandes vorliegt. Sobald dieser Beschluss vorliegt und die Finanzierung geklärt ist, führt die OSZE entsprechende Trainings durch, bei denen auch das 2019 neu erschienene Handbuch der OSZE zu Demobeobachtung zum Einsatz kommt.

Über die Art und Weise, wie die BeobachterInnen der OSZE dabei vorgehen, hat die OSZE einen Clip erstellt, welcher in Wien Premiere feierte und welcher jetzt auf youtube veröffentlicht wurde: https://www.youtube.com/watch?v=6z9Og7XblkE

Die erklärte Herangehensweise deckt sich mit unserer eigenen. Vorurteilsfrei und objektiv zu beobachten, Beobachtungen und Schlussfolgerungen voneinander abzugrenzen und nicht in das Geschehen einzugreifen, sind die wohl wichtigsten Grundpfeiler einer Demobeobachtung.

Die OSZE-BeobachterInnen setzen ebenfalls auf Warnwesten, allerdings in gelb (was sich wegen der Gelbwestenbewegung in Frankreich ändern wird), mit der Aufschrift „Observer“, um von den TeilnehmerInnen der Versammlung abgrenzbar zu sein. Wie wir stoßen die OSZE-BeobachterInnen auf unterschiedliche Level von Akzeptanz und Kooperationsbereitschaft bei den eingesetzten PolizistInnen.

Genau wie bei uns liegt der Schwerpunkt der OSZE-Beobachtung auf den die Versammlung begleitenden Polizeieinsätzen und genau wie wir dokumentieren OSZE-BeobachterInnen auch Versammlungen, bei denen es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt. Hier liegt der Schwerpunkt der OSZE auf den eingesetzten Einsatzmitteln (z.B. Pfefferspray) und der Verhältnismäßigkeit.

Die deutsche Polizei geht unserer Erfahrung nach oft fälschlicherweise davon aus, dass eine Demonstration entweder insgesamt als friedlich oder als gewalttätig eingestuft werden kann und dass sobald ihrer Meinung nach Straftaten begangen worden sind, das Versammlungsrecht für alle TeilnehmerInnen verwirkt ist und auch wir DemobeobachterInnen abzuziehen hätten. Dies haben wir in Wien problematisiert und natürlich bestand der Konsens, dass man es sich so einfach nicht machen könne und das natürlich und gerade wenn es zu Konflikten und Gewalt kommt, Demobeobachtung sinnvoll und nötig ist.

Im zweiten Teil der Artikelserie wird es um „accountability“ gehen, also darum mit welchen Mechanismen einzelne PolizistInnen im Falle von Polizeigewalt und die Einsatzführung bei verwaltungsrechtswidrigen Einsätzen zur Rechenschaft gezogen werden können – ein Bereich in dem Deutschland im Vergleich besonders schlecht abschneidet.