Am 14. und 15. Dezember 2016 veranstaltete die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) bzw. deren Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR, Office on Democratic Institutions and Human Rights) einen runden Tisch zum Thema Demobeobachtung (Assembly Monitoring). Wir waren als deutsche Nichtregierungsorganisation (NGO) eingeladen.
Es war ein sehr fruchtbarer Austausch mit NGOs aus 18 Ländern und den OSZE-ExpertInnen sowie Vertretern der Polizeien aus Schweden und Nordirland. Aus Deutschland war außer uns noch das Komitee für Grundrechte und Demokratie vertreten.
Wir haben Bericht erstattet über typische Problemfelder bei Versammlungen im südwestdeutschen Raum, insbesondere den leichtfertigen Einsatz von Pfefferspray, Masseningewahrsamnahmen/ Kesselungen und fehlende rechtliche Folgen von Polizeigewalt, sowie das Abfilmen von Versammlungen durch die Polizei.
In vielen anderen stabilen Demokratien scheint die Polizei ihre Strategien für Einsätze bei Demonstrationen deutlich weiter entwickelt zu haben. Insbesondere scheinen andere Polizeien begriffen zu haben, dass undifferenziert wirkenden Waffen wie Pfefferspray und Wasserwerfer ungeeignete Mittel auf Demonstrationen darstellen, weil sie unbeteiligte Dritte innerhalb und außerhalb der Demonstrationen sowie die eigenen Kollegen in Gefahr bringen.
Die Erkenntnis, dass solche Waffen, genau wie die Praxis des Einkesselns und der Masseningewahrsamnahmen, regelmäßig zu Eskalationen führen und
auch vorher nicht gewaltbereite DemonstrationenteilnehmerInnen radikalisieren hat dazu geführt, dass diese Maßnahmen von manchen anderen Polizeien nicht mehr eingesetzt werden. Um es mit den Worten eines Polizeikommissars aus Nordeuropa zu sagen:
Wenn wir aus einer Gruppe von hundert Leuten mit Steinen beworfen werden, sind dass vielleicht zwei oder drei Leute, die die Steine geworfen haben. Wenn wir jetzt diese hundert Leute festsetzen und stundenlang in Gewahrsam nehmen, hilft uns das auch nicht die Steinewerfer zu identifizieren und was glauben Sie, wie viele dieser 100 Leute das nächste Mal bereit sind, Steine zu werfen?
Leider hat sich die Wichtigkeit der Berechenbarkeit von Polizeieinsätzen auch noch nicht bis zu den deutschen Kollegen herumgesprochen. Sehr oft erleben wir Kessel oder Einsätze gegen VersammlungsteilnehmerInnen, bei denen weder uns noch den TeilnehmerInnen der Grund klar ist. Dementsprechend entsteht ein Gefühl der Bedrohung, welches andere Polizeien unbedingt zu vermeiden suchen, indem sie genau kommunizieren, welches Verhalten welche Maßnahmen zu Folge hat.
Besonders schlecht gelingt dies den deutschen Polizeien regelmäßig in Situationen, wo es Demos und Gegendemos gibt, z.B. bei Naziaufmärschen.
Selbstverständlich ist es zulässig und erwünscht im Sinne eines demokratischen Meinungsaustauschs, dass Gegendemonstrationen in Hör- und Sichtweite der Adressaten stattfinden. Ebenso sind spontane Demonstrationen und Blockaden zulässig, solange sie die andere Versammlung nicht total verhindern.
In Deutschland hingegen werden auch friedliche Gegendemonstrationen regelmäßig durch die Polizei verhindert, ein klares Muster ist hierbei für uns jedoch nicht zu erkennen.
Auch die sog. Cop-Culture, also die uneingeschränkte Solidarität zwischen PolizistInnen, auch auf Kommandoebene, scheint in anderen Ländern weniger ausgeprägt.
Als Beispiel haben wir Clips von den Pfeffersprayeinsätzen eines berittenen Polizisten auf den Bildungsplandemos gezeigt. Ein Verhalten, welches Polizei öffentlich mit Verweis auf Gewalt seitens der Demonstranten verteidigt hat, als würden bei stellenweise unfriedlichen Versammlungen überhaupt keine Regeln und Gesetze für die Polizei mehr
gelten.
Bei anderen Polizeien gilt für solche unberechenbaren Kollegen (loose cannons) gefeuert oder in den Innendienst versetzt, denn
„…solche Leute eskalieren nämlich Demos und bringen damit auch unsere Kollegen in Gefahr.“
Wir haben mit Ausnahme einiger bekannter Fälle rund um den schwarzen Donnerstag in Stuttgart bis jetzt nicht erlebt, dass PolizistInnen für klar rechtswidriges gewalttätiges Verhalten zur Rechenschaft gezogen worden sind.
Fehlende Verantwortlichkeit (lack of accountibility) scheint in fast allen OSZE-Staaten ein großes Problem zu sein. In den wenigsten Ländern gibt es Stellen, die Vergehen von PolizistInnen unabhängig untersuchen und ahnden.
Besonders schwierig ist die Situation natürlich in Bürgerkriegsländern wie der Ukraine oder der Türkei. In der Ukraine gibt es wenigstens eine große und wirkmächtige Bürgerrechtsbewegung, die das Recht auf Versammlungsfreiheit überwachen. In der Türkei hingegen befindet sich die Zivilgesellschaft in starker Bedrängnis.
Die beiden VertreterInnen aus den U.S.A. haben ganz ähnliche Probleme geschildert wie wir. Allerdings kommen dort ein paar spezifische Probleme hinzu, insbesondere die Militarisierung der Polizeien und der Einsatz von modernen sogenannten nicht-tödlichen Waffen wie Pfefferspray und Wasserwerfern, aber auch Tasern und Schallwaffen, die ein äußerst schmerzhaftes Geräusch erzeugen, um Demonstrationen aufzulösen. Aufgrund der Waffengesetze kommt hinzu, dass in manchen Bundesstaaten, in denen das offene Tragen von Waffen erlaubt ist, Gegendemonstrationen teilweise bewaffnet sind.
Während in vielen Osteuropäischen Staaten die Situation für Minderheiten immer noch bedrückend ist, so wurde doch auch über positive Entwicklungen berichtet. So kooperierten z.B. manche Polizeien mit VertreterInnen der LGBT-Bewegung, um deren Probleme im Alltag, sowie mit rechten oder ultrakonservativen gewalttätigen Gegendemonstranten zu verstehen und in den Griff zu bekommen.
Der Umgang der Polizei mit DemonstrationsbeobachterInnen war natürlich auch ein Thema. Die OSZE setzt sich für eine umfassende Kooperation der Polizeien mit den lokalen Beobachtungsgruppen ein. Unsere Erfahrungen bis jetzt waren zwiespältig. Wir konnten weitgehend unbehindert beobachten. Bei Polizeisperren ähnelt die Situation einem Glücksspiel.
Am 16. Dezember fand in der Wiener Hofburg die Präsentation des Berichts zur Versammlungsfreiheit in ausgewählten OSZE-Mitgliedsstaaten statt.
Die OSZE/ODIHR unterhält eigene Demobeobachtungsteams sowie RechtsexpertInnen, die an diesem Bericht mitgewirkt haben. Der Bericht enthält auch Empfehlungen für die polizeiliche Begleitung von Versammlungen, welche wir mit freundlicher Genehmigung übersetzen und hier veröffentlichen dürfen.
Wir werden weiterhin mit der OSZE/ODIHR zusammen arbeiten und über die Versammlungsfreiheit in Südwestdeutschland Bericht erstatten. Zusammen
mit unseren Schwesterorganisationen werden wir auch beraten, wie wir die Kooperation mit OSZE/ODIHR ausbauen können.
[…] vor der OSZE/ODIHR organisierten Treffen von Organisationen, die sich für das Recht auf Versammlungsfreiheit einsetzen, hatten wir das […]
[…] we participated in the meeting of NGOs seeking to protect the freedom of assembly which was organized by OSCE/ODIHR, we had the […]