Versammlungsfreiheit in Deutschland und der Welt – Teil 1: OSZE-Demobeobachtung

Um den Stand der Versammlungsfreiheit in Deutschland beurteilen zu können, macht es Sinn den Blick zu weiten und sich international auszutauschen. Genau dies haben wir in den letzten vier Jahren betrieben und verarbeiten unsere Erfahrungen nun in einer Artikelserie, die hier mehr oder weniger wöchentlich erscheinen wird.

Von beiden großen übernationalen Organisationen, den Vereinten Nationen (UN) und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), gibt es Leitlinien zum Thema Versammlungsfreiheit. Diese Leitlinien (zu finden hier bzw. hier) gleichen sich sehr stark, weswegen wir nur die aktuellsten Empfehlungen der OSZE ins Deutsche übersetzt haben. Diese Empfehlungen werden ständig aktualisiert, gerade auch unter dem Eindruck des G20-Gipfels in Hamburg. Eine neue Version wird noch dieses Jahr erscheinen und wieder von uns übersetzt werden.

Um sich über die Situation in den verschiedenen Staaten auszutauschen, veranstaltet die OSZE, bzw. deren Unterorganisation ODIHR (Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte), zweijährlich runde Tische, an denen sich die Nichtregierungsorganisationen, die auf dem Gebiet der Versammlungsfreiheit tätig sind, austauschen. An diesem runden Tisch hat „Demobeobachtung Südwest“ bereits zweimal teilgenommen, beim letzten runden Tisch im Dezember 2018 zusammen mit „BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“ aus Göttingen.

Um Indikatoren für den Stand der Versammlungsfreiheit in den Mitgliedsländern zu erarbeiten hat das ODIHR einen ExpertInnenkreis einberufen, zu dem Demobeobachtung Südwest einen Gesandten schickt. Wir arbeiten dabei zusammen mit unseren Partnerorganisationen, insbesondere aus Göttingen und freiheitsfoo aus Hannover.

Mit unserer russischen Partnerorganisation „Moscow Helsinki group“ beginnen wir gerade eine Infrastruktur aufzubauen, um einen Index zur Versammlungsfreiheit, ähnlich dem Index zur Pressefreiheit, auf die Beine zu stellen.

Außer dem Voranbringen internationaler Projekte und besserer Vernetzung steht aber der inhaltliche Austausch im Vordergrund. Dabei hat sich immer wieder gezeigt, dass die gefestigten westeuropäischen Demokratien wie Deutschland, zwar häufig die versammlungsfreundlichere Gesetzgebung haben, dass aber Polizei und Ordnungsamt in der Praxis oft versammlungsfeindlicher gegenüber AnmelderInnen, VersammlungsleiterInnen, DemobeobachterInnen und VersammlungsteilnehmerInnen vorgehen, als beispielsweise in den jungen Demokratien Osteuropas. Insbesondere die Kritikfähigkeit des Polizeiapparats ist in Deutschland kaum vorhanden und es besteht kein auch nur ansatzweise adäquates, unabhängiges System, um Fälle von Polizeigewalt aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Laut ODIHR sind DemobeobachterInnen (assembly observers) elementar zum Schutz der Versammlungsfreiheit und zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, sie sollten deshalb von Polizei und Ordnungsamt unterstützt und nicht behindert werden. Auch hier sind die Polizeien anderer Staaten deutlich weiter als die deutsche Polizei. Alleine dieses Jahr wurde unsere Arbeit schon zwei mal massiv behindert. Selbst höchstinstanzliche Urteile zu unseren Gunsten scheinen sich nur bedingt auf die Praxis auszuwirken.

Diese Artikelserie, die nach und nach auf unserer Website erscheinen wird, beschäftigt sich damit, wie es in Deutschland um die Versammlungsfreiheit bestellt ist, wenn man den internationalen Vergleich und internationale Empfehlungen bemüht.

Demobeobachtung durch ODIHR

Die OSZE unterstützt nicht nur lokale NGOs, sondern sie führt als einzige internationale Institution selbst Demobeobachtungen durch.

Allerdings hat die OSZE nur dann eine Rechtsgrundlage für Beobachtungsmissionen, wenn ein Ministerialbeschluss des entsprechenden Mitgliedslandes vorliegt. Sobald dieser Beschluss vorliegt und die Finanzierung geklärt ist, führt die OSZE entsprechende Trainings durch, bei denen auch das 2019 neu erschienene Handbuch der OSZE zu Demobeobachtung zum Einsatz kommt.

Über die Art und Weise, wie die BeobachterInnen der OSZE dabei vorgehen, hat die OSZE einen Clip erstellt, welcher in Wien Premiere feierte und welcher jetzt auf youtube veröffentlicht wurde: https://www.youtube.com/watch?v=6z9Og7XblkE

Die erklärte Herangehensweise deckt sich mit unserer eigenen. Vorurteilsfrei und objektiv zu beobachten, Beobachtungen und Schlussfolgerungen voneinander abzugrenzen und nicht in das Geschehen einzugreifen, sind die wohl wichtigsten Grundpfeiler einer Demobeobachtung.

Die OSZE-BeobachterInnen setzen ebenfalls auf Warnwesten, allerdings in gelb (was sich wegen der Gelbwestenbewegung in Frankreich ändern wird), mit der Aufschrift „Observer“, um von den TeilnehmerInnen der Versammlung abgrenzbar zu sein. Wie wir stoßen die OSZE-BeobachterInnen auf unterschiedliche Level von Akzeptanz und Kooperationsbereitschaft bei den eingesetzten PolizistInnen.

Genau wie bei uns liegt der Schwerpunkt der OSZE-Beobachtung auf den die Versammlung begleitenden Polizeieinsätzen und genau wie wir dokumentieren OSZE-BeobachterInnen auch Versammlungen, bei denen es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt. Hier liegt der Schwerpunkt der OSZE auf den eingesetzten Einsatzmitteln (z.B. Pfefferspray) und der Verhältnismäßigkeit.

Die deutsche Polizei geht unserer Erfahrung nach oft fälschlicherweise davon aus, dass eine Demonstration entweder insgesamt als friedlich oder als gewalttätig eingestuft werden kann und dass sobald ihrer Meinung nach Straftaten begangen worden sind, das Versammlungsrecht für alle TeilnehmerInnen verwirkt ist und auch wir DemobeobachterInnen abzuziehen hätten. Dies haben wir in Wien problematisiert und natürlich bestand der Konsens, dass man es sich so einfach nicht machen könne und das natürlich und gerade wenn es zu Konflikten und Gewalt kommt, Demobeobachtung sinnvoll und nötig ist.

Im zweiten Teil der Artikelserie wird es um „accountability“ gehen, also darum mit welchen Mechanismen einzelne PolizistInnen im Falle von Polizeigewalt und die Einsatzführung bei verwaltungsrechtswidrigen Einsätzen zur Rechenschaft gezogen werden können – ein Bereich in dem Deutschland im Vergleich besonders schlecht abschneidet.