Pressemitteilung – Oberverwaltungsgericht bestätigt: Personalienfeststellung von Demobeobachtern war rechtswidrig

Der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat am 11. August 2022 die Zulassung auf Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. November 2021 – 5 K 2034/20 abgelehnt. Damit hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart bestätigt. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Was war geschehen?

Zwei Mitglieder der Bürgerrechtsorganisation Demobeobachtung Südwest, einer Organisation, die sich für die Stärkung eines weit gefassten Demonstrationsrechts einsetzt, hatten am 25.5.2019 eine Demonstration „Solidarität mit den Hungerstreikenden“ (in der Türkei) beobachtet. Nach deren Ende waren sie einer Gruppe junger Leute gefolgt, in der Annahme, es könne sich um Menschen handeln, die eben an der Demonstration teilgenommen hatten. Diese waren im Anschluss von der Polizei „gekesselt“ worden.

Obwohl die beiden klar als Demobeobachter erkennbar waren (durch Westen mit entspr. Aufdruck) und ihre Beobachtung vorher schriftlich angekündigt hatten, wurden sie wie die umschlossenen jungen Leute einer Personalienfeststellung sowie Durchsuchung unterzogen, da sie – so die Polizei – ihre Beobachterrolle verlassen und sich mit den Umschlossenen solidarisiert hätten.

Dagegen hatten die Mitglieder von Demobeobachtung Südwest Klage vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben und in erster Instanz gewonnen.

Dieses Urteil wollte die Polizei nicht akzeptieren und beantragte vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim Zulassung der Berufung. Diese Zulassung wurde verweigert.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hatte geurteilt: „Es wird festgestellt, dass die Feststellung der Personalien des Klägers, seine Durchsuchung und die seines Rucksackes sowie die Anfertigung der Filmaufnahmen von ihm nach der Einkesselung am 25.05.2019 rechtswidrig erfolgten. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens“.

Worauf kam es an?

Die polizeilichen Maßnahmen wären rechtmäßig gewesen, wenn die beiden Störer oder „Anscheinstörer“ gewesen wären, d.h. solche Menschen, die zu Beginn bei einem fähigen, besonnenen und sachkundigen Polizeibeamten den Eindruck der Gefahrverursachung erweckt hätten (o. gen. Urteil S. 10). Die beiden Demobeobachter waren also keine Störer, noch nicht einmal Anscheinstörer.

Wir freuen uns, dass die zwei Klagen erfolgreich waren. Wir sehen unseren Anspruch auf repressionsfreie Beobachtung von Polizeihandeln in und um Demonstrationen dadurch klar bestätigt. – so Bernhard Höll, einer der beiden Kläger. Die Polizei kann Beobachter:innen nicht unabhängig von ihrem Verhalten als Anscheinstörer deklarieren und erkennungsdienstlich behandeln. Konrad Nestle ergänzt: In erfreulicher Klarheit räumt die Polizei implizit ein, dass es nicht nur um ‚Störungen‘ geht, sondern dass die Polizei das Ziel verfolgt [habe], weitere Störungen durch Demobeobachter bei Personenkontrollen zu verhindern‘ (so das Urteil – S. 5 – in der Zusammenfassung der Klagebegründung der Polizei). Die Personalienfeststellung sollte also abschreckend wirken.

 

Relevante Links

https://anwaltskanzlei-adam.de/2022/08/15/verwaltungsgerichtshof-baden-wuerttemberg-beschluss-vom-11-08-2022-az-vgh-1-s-326-22/

https://demobeobachtung-suedwest.de/blog/2022/03/07/sieg-vor-dem-stuttgarter-verwaltungsgericht/

https://anwaltskanzlei-adam.de/2022/01/24/verwaltungsgericht-stuttgart-urteil-vom-10-11-2021-az-5-k-2033-20/

https://demobeobachtung-suedwest.de/blog/2019/06/14/demo-solidaritaet-mit-den-hungerstreikenden-in-stuttgart-am-25-5-2019/