Zwei Demobeobachter klagten gegen eine erzwungene Personalienfeststellung
Am 10.11.2021 wurde unsere Klage gegen die Stuttgarter Polizei verhandelt. Das Gericht stellte fest, dass die Polizei rechtswidrig handelte, als sie uns nicht aus einem Kessel entließ, sondern uns einer erkennungsdienstlichen Behandlung / Personalienfeststellung mit allem Drum und Dran (nur auf Fingerabdrücke wurde verzichtet) unterzog.
Interessant: Dem Gericht schien an der grundsätzlichen Klärung eines ansonsten nicht sehr spektakulären Vorgangs gelegen zu sein: Die mündliche Verhandlung ging über ca. vier Stunden. Und das, obwohl das Polizeirecht in Baden-Württemberg seither verschärft wurde und die damaligen Geschehnisse heute evtl. anders bewertet werden könnten (vgl. unsere Stellungnahme zum Polizeigesetz vom 26.4.2020.).
Der Urteilstext ist unter https://anwaltskanzlei-adam.de/2022/01/24/verwaltungsgericht-stuttgart-urteil-vom-10-11-2021-az-5-k-2033-20/ in anonymisierter Form einsehbar.
Was taten wir und was die Polizei?
Wir beobachteten eine Demo „Solidarität mit den Hungerstreikenden“ am 25.5.2019 (vgl. unseren Bericht). Während der Demo selbst gab es keine Konflikte zwischen der Polizei und uns. Danach aber schon.
Häufig greift die Polizei Menschen auf, die den Ort der Demonstration verlassen, weil sie ihnen Straftaten vorwirft. Deshalb bleiben wir auch nach Ende einer Demo noch da, um zu sehen, ob die Teilnehmer:innen der Demo unbelästigt weggehen können. Wir bekamen nach der Demo mit, dass die Polizei „Vermummte“ in den Königsbaupassagen vermutete, und folgten deshalb rennenden Polizisten dorthin. So gerieten wir in einen Kessel.
Wir wollten den Kessel nach kurzer Zeit verlassen, unter Hinweis auf unsere Rolle als unbeteiligte Beobachter. Dies wurde uns vom Einsatzleiter verweigert. So mussten wir uns abfilmen und bis auf den Geldbeutelinhalt durchsuchen und abtasten lassen.
Das Urteil und seine Gründe
Die Polizei hatte die Personalienfeststellung samt (fast kompletter) erkennungsdienstlichen Behandlung damit gerechtfertigt, dass wir unseren Beobachterstatus verlassen und uns mit den Menschen, die von der Polizei der Gruppe vormals Vermummter (Formulierung der Polizei: „junge gewaltbereite kurdische Szene“[siehe Urteil]) zugerechnet wurde, solidarisiert hätten. Das habe den Verdacht gerechtfertigt, dass wir z.B. Vermummungsmaterial (für andere) in unseren Rucksäcken hätten und dass von uns die gleichen Gefahren ausgingen wie von der Gruppe der Vermummten. Das Gericht stellte fest, dass die polizeilichen Maßnahmen sowohl ggf. der Strafverfolgung als auch der Gefahrenabwehr dienten . Wenn die Polizei vortrug, dass das Videografieren den Zweck hatte, uns „vollständig die Anonymität zu nehmen und so die Möglichkeit strafrechtlicher Verfolgung zu schaffen und dem Kläger [also uns] diese bewusst zu machen“, räumt sie ein, dass es ihr um Einschüchterung ging, und zwar um Einschüchterung von Menschen, die Demobeobachtung machen. (Dass die Prozedur auch entwürdigend ist, braucht ja nicht gesagt zu werden).
Das Gericht stellte fest: Wir waren keine Störer. Das wären wir erst dann gewesen, wenn wir die polizeiliche Arbeit irgendwie konkret behindert hätten. Demobeobachtung ist also legitim, auch nach Art. 5 GG (Meinungsfreiheit und u.a. Freiheit der Berichterstattung). Um diese Feststellung mussten wir auch nicht fürchten.
Es kommt aber nicht nur darauf an, ob wir tatsächlich gestört hatten, sondern mehr darauf, ob wir „bei einem fähigen, besonnenen und sachkundigen Polizeibeamten“ den Eindruck der „Gefahrverursachung“ erweckt haben könnten (ebd.). Das heißt dann „Anscheinsstörer“, ein Begriff, der an den der „Putativnotwehr“ erinnert. Das Gericht bindet die subjektive Wahrnehmung eines Polizisten freilich an die Eigenschaften Fähigkeit, Besonnenheit und Sachkunde (s.o.), die es in diesem Fall nicht als vollumfänglich gegeben sah. Beide Begriffe können freilich durchaus sinnvoll sein.
Gegen die Annahme des (Anschein)störers sprach offenbar auch unser Verhalten während des Kessels und in unserer Berichterstattung über die Demo. Dass die Videoaufnahmen der Polizei zeigten, dass einer der betr. Demobeobachter an der Wand stand und mit niemandem der anderen Eingekesselten auch nur sprach, hätte als klares Indiz gesehen werden müssen, dass wir uns nicht mit der Gruppe solidarisierten. Ebenso der Umstand, dass wir Beobachtungen der Polizei während des Demozugs unwidersprochen wiedergaben (betr. die Art, Banner zu tragen, und Rufe). Kritik an der Polizei stehe dem nicht entgegen.
Berufung
Das Urteil lässt die Frage offen, ob es anders ausgefallen wäre, wenn nach dem inzwischen in Baden-Württemberg gültigen Polizeirecht zu urteilen gewesen wäre.
Trotzdem scheint die Polizei zu glauben, das Urteil könne auch für zukünftige Fälle wichtig sein. Jedenfalls hat sie Berufung eingelegt.
Es bleibt spannend.