Stellungnahme zur Novellierung des Polizeigesetzes

Die Folgende Stellungnahme wurde am 22.4. via Email an die unten gelisteten Adressaten geschickt.

 

An: – Staatsministerium poststelle@stm.bwl.de

 

– Innenministerium poststelle@im.bwl.de

– Fraktionen im LT:

post@gruene.landtag-bw.de

post@cdu.landtag-bw.de

post@fdp.landtag-bw.de

post@spd.landtag-bw.de

22.4.2020

Stellungnahme zur Novellierung des Polizeigesetzes

Bezug: Online-Zeitschrift „IMI-List“ , Nummer 0565, 23. Jahrgang

vgl.: http://www.imi-online.de/2020/04/14/baden-wuerttemberg-verschaerfung-des-polizeigesetzes-waehrend-corona-krise/

 

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann,

sehr geehrter Herr Minister Strobl,

sehr geehrte Damen und Herren,

Wir teilen die Kritik der Informationsstelle Militarisierung (IMI Tübingen) an der Novellierung des baden-württembergischen Polizeigesetzes im Wesentlichen.

Das Vorgehen, diese schon 2019 geplante Verschärfung des Polizeirechts während der „Corona“-Krise umzusetzen, erweckt das ungute Gefühl, dass die Krise mit ihren Einschränkungen von Grundrechten und Öffentlichkeit dazu benutzt wird, Demokratieabbau zu betreiben. Gute Gründe Corona-spezifische Einschränkungen von Freiheitsrechten nicht ausschließlich auf die Pandemie-Zeit zu begrenzen sind für uns leider nicht ersichtlich. Angriffe von Rechts auf die Demokratie sind aber nicht durch ihre Einschränkung zu bekämpfen, bzw. Vermutungen über Missbrauch oder gar Übertreibung der Pandemie sind nicht so zu bekämpfen, sondern nur durch Stärkung der Demokratie. Diese beginnt mit Stärkung der Grundrechte.

Wir möchten besonders hervorheben, welche Befürchtungen entstehen müssen, wenn die Möglichkeiten von Durchsuchungen von Personen und Sachen in und am Rande von Versammlungen (offenbar keineswegs nur bei Großveranstaltungen) so wie geplant erweitert werden. Beispielsweise bei Fußballfans werden sie blanke Wut auslösen. Denn schon bisher empfinden Fans die „Begleitung“ durch die Polizei großenteils als schikanös.

Durch sehr allgemeine, nirgends definierte Rechtsbegriffe wie „Gefährdungsrisiko“ entsteht ein weiter Ermessens-, ja Willkürspielraum zugunsten der Polizei; sie ist bekanntlich nicht bereit, im konkreten Fall über die Berechtigung ihres Ermessens zu diskutieren. Da außerdem die Einschränkung auf „Großveranstaltungen“ z.T. fehlt, werden Gruppen, die sich von der Polizei eher als Gegner denn als ihre Grundrechte praktizierende Bürger und Bewohner behandelt fühlen, sich eher in einem repressiven Staat als in einer liberalen Demokratie fühlen. Das dürfte z.B. für Kurden gelten, denen von der Polizei bereits öfter von vornherein Gewaltbereitschaft zugeschrieben wurde (siehe z.B. https://demobeobachtung-suedwest.de/blog/2019/06/14/demo-solidaritaet-mit-den-hungerstreikenden-in-stuttgart-am-25-5-2019/ ).

Wenn die Art des Zusammenhangs mit der Versammlung für die Frage der Durchsuchung keine Rolle spielen soll, wird jeder Mensch, der stehen bleibt und sehen möchte, was geschieht, mit polizeilichen Maßnahmen rechnen müssen, v.a. der Aufnahme von Personalien, über deren Verwendung er keine Kontrolle mehr hat. Erst recht trifft das zu auf Menschen, die regelmäßig, aus ihrem Engagement für die Grundrechte heraus, Demonstrationsgeschehen beobachten. Diese machen bundesweit häufig die Erfahrung, dass sie – unseres Erachtens: rechtswidrig – in ihrem Engagement für Demokratie behindert werden.

Wir benutzen bewusst nicht die Beteiligungsplattform des Innenministeriums. Diese Form der Beteiligung erscheint uns viel zu dürftig.

Wir fordern alle, den Ministerpräsidenten, die beteiligten Ministerien, die Regierungsfraktionen und die Fraktion der SPD, dazu auf, den Verabschiedungsprozess dieser Gesetzesnovelle, für die wir nicht die geringste Eilbedürftigkeit sehen, abzubrechen. Sofern Freiheitsrechte pandemiebedingt eingeschränkt werden müssen, muss dies auch auf den Pandemiezeitraum begrenzt sein! Das Polizeigesetz braucht eine breite öffentliche Debatte, inkl. von Versammlungen und Demonstrationen. Erst wenn diese wieder möglich ist, kann – und muss – über das Polizeirecht und sein Verhältnis zu den Grundrechten gesprochen werden.

Mit freundlichen Grüßen

Für Demobeobachtung Südwest

Konrad Nestle

Tachenbergstr. 17 70499 Stuttgart