Pressemitteilung zum 12. Oktober 2013 in Göppingen

Am gestrigen Samstag hat die Polizei in Göppingen einen Aufmarsch von Neonazis durch Anwendung roher Gewalt und vermutlich rechtswidrigen Masseningewahrsamnahmen von Neonazigegner*innen durchgesetzt. Gewalt in Form von Schlagstockeinsatz und Pfefferspray wendete die Polizei keinesfalls nur zur Selbstverteidigung an, sondern überwiegend um Nazigegner*Innen vom Aufmarschgebiet der Neonazis fernzuhalten.

Dies erklärt auch die hohe Zahl verletzter Demonstrant*Innen. So haben die Demosanitäter nach eigenen Angaben 64 Patient*Innen behandelt, von denen 49 durch Pfefferspray verletzt wurden. Eine Person erlitt infolge von Pfefferspray einen Asthmaanfall. Mehrere Personen erlitten schwerere Verletzungen.

Wir konnten keinen Fall von Gewalt seitens der Demonstrant*innen beobachten, der diese polizeiliche Gegengewalt erklären könnte. Die Demonstrant*innen hatten im Vorfeld der Demonstration den Konsens gefasst, dass von ihnen keine Eskalation ausgehen sollte.

Selbst wenn dieser Konsens von uns unbeobachtet verletzt worden sein sollte, so können wir zumindest sicher sagen und belegen, dass es im Vorfeld des größten Kessels in der Schlossstraße Ecke Lange Straße keine Gewalt gegeben hat. Das langsame Vorrücken der Antifaschist*innen gegen eine Polizeikette und die anschließenden Versuche, verschiedene Polizeiketten zu umlaufen, wurde von der Polizei zum gewaltsamen Durchbruchsversuch umgedeutet. Abgesehen davon, dass diesem Kessel mit hoher Sicherheit die Rechtsgrundlage fehlte, wurden in ihm in großer Zahl auch Menschen festgehalten, die von der Meile der Demokratie nach strömten und niemals versucht hatten, eine Polizeisperre zu umgehen.

Der Kessel, wie andere Kessel auch, blieb über einen unverhältnismäßig langen Zeitraum bestehen. Toiletten wurden zu spät zur Verfügung gestellt und außerhalb des Kessels aufgestellt, was zu zusätzlichen Verzögerungen führte. Die zahlreich vorhandenen Beamt*innen des AntiKonflikt-Teams mieden die Kessel, obwohl sie gerade hier nötig gewesen wären. So wurden auch zwei Demobeobachter über viele Stunden im Kessel festgehalten, bis ein Kontakt zum Polizeipressesprecher hergestellt werden konnte.

Beim letzten großen Neonaziaufmarsch im Südwesten am 25.05.2013 in Karlsruhe hat die Demobeobachtungsgruppe Südwest die Grundausrichtung des Polizeieinsatzes ausdrücklich gelobt. In Karlsruhe hatte die Polizei ein Deeskalationskonzept und ermöglichte den Gegendemonstrant*innen Protest in Sicht- und Hörreichweite der Adressat*innen. In Göppingen war beides leider Fehlanzeige. Die Demobeobachtungsgruppe Südwest wird ihr umfangreiches Video-, Foto- und Tonmaterial in den nächsten Tagen auswerten und dann einen Bericht auf demobeobachtung-suedwest.de veröffentlichen.

Bericht über die Demonstration(en) von „nazis stoppen“ gegen die Nazi-Demonstration in Göppingen

Auch die städtischen Auflagen für die antifaschistische Gegendemonstration wurden z.T. aufgehoben: So das Verbot von Transparenten, die länger als 3,50m sind und solchen, die seitlich getragen werden. Ebenfalls muss der Versammlungsleiter die Daten der Ordner nicht erfassen und der Polizei vorlegen. Bestand hatte die Auflage, die hohe Zahl von 25 Ordnern je 25 Demonstrationsteilnehmer*innen zu stellen (StZ 11.10.13). Zwei der angemeldeten Gegendemonstrationen wurden verboten. Die Aktivitäten von „Kreis Göppingen nazifrei“ begannen am Vorabend mit kulturellen Aktionen auf der Straße und in der Stadtbibliothek (ebd.) und wurden mit einer „Straße der Demokratie“ am Samstag von 10.00 bis 17.00 auf der Marktstraße, etwa zwischen Gerber- und Hauptstraße, fortgesetzt. Daneben war die Demonstration antifaschistischer Gruppen ab 11.00 angemeldet. Deren Ziel (lt. ihrer homepage): „Sie [die Nazis] sollen keinen Schritt laufen!“ und „Wir werden die Stadt mit Leben füllen, lautstark demonstrieren und die Nazis blockieren.“

Die Demobeobachtung begann ca. 9.20 mit zwei Personen, etwas später stieß eine dritte hinzu. Die Demobeobachter haben sich zeitweise aufgeteilt und waren zwar an verschiedenen Orten anwesend,  können allerdings nicht behaupten, alles gesehen zu haben. Insbesondere konnten die Demobeobachter die von Polizei und Presse berichteten Ereignisse an den Gleisen nicht beobachten.

Die Polizei war von Anfang an sehr stark präsent, auch mit berittener Polizei, Hundestaffel, ein bis zwei Hubschraubern und drei Wasserwerfern.

Um 10.17 Uhr sahen die Demobeobachter, dass etwa 10 junge Leute am Rande der „Straße der Demokratie“ eingekesselt worden waren. Anlass und Dauer dieses Kessels konnten wir nicht beobachten. Etwas später (10.30 – 11.00 Uhr) wurden einzelne Jugendliche, von deren Äußerem man vielleicht darauf schließen konnte, dass sie sich an den Protesten gegen den Naziaufmarsch beteiligen wollten, kontrolliert und ihr Gepäck durchsucht. Eine auf der Geislinger Staße stattfindende Kundgebung wurde vom Veranstalter um 11.26 Uhr für beendet erklärt. Daraufhin bildete sich spontan ein Demonstrationszug in Richtung der Demoroute der Nazis. Diesem schlossen sich viele Menschen an, die sich bis dahin auf der „Straße der Demokratie“ befanden. Dieser Demozug wurde schließlich durch eine Polizeikette und zwei berittene Polizist*innen gestoppt. Die Reiter*innen standen unmittelbar vor dem Frontbanner.

Pferd_Am_Banner

Ihre Pferde wurden durch Wedeln mit dem Banner irritiert und zusehends nervöser. Beide Reiter zogen sich nach einigen Minuten hinter die Polizistenkette zurück (11:38 Uhr).

Megafondurchsage

Die vorderste Reihe der Demonstrant*innen rückte nach entsprechender Megafondurchsage aus der Demo bis unmittelbar an die Polizeikette vor, drehte nach wenigen Minuten um und bog in die Schlossstraße ein, von wo aus Demonstrant*innen hoffen mochten, einen Zugang zu Orten näher an der Demo der Nazis zu finden (ca. 11.50 Uhr).

Pfeffer_AlterKasten

Im Durchlass/Torbogen des „Alten Kastens“ hielt die Polizei sie unter Einsatz von Pfefferspray zurück (11:51 Uhr).

Pfefferverletzter

Es gab behandlungsbedürftige Verletzte unter den Demonstranten. Ein Demobeobachter versuchte einem durch Pfefferspray Getroffenen zu helfen und wurde unter polizeilichem Zwang aus dem Durchgang beim „Alten Kasten“ gedrängt. Wegen der räumlichen Enge wirkte das Reizgas auch auf Polizist*innen; ob die davon Betroffenen unter die vom Polizeisprecher genannten Zahl der verletzten Polizisten gerechnet wurden, ist uns unbekannt. Einige Demonstrant*innen versuchten, durch schmale Durchlässe weiter ihrem Ziel näher zu kommen. Der Polizei gelang es schnell, diese Durchlässe zu blockieren. So entstand rasch und für die Betroffenen unvorhersehbar ein Kessel (ca. 11.54 Uhr).

Andere Gruppen von Demonstrant*innen, die nicht gekesselt waren, versuchten in den Nebenstraßen weiterzukommen.

Gewaltfestnahme_Kreuzapotheke

Um 12:07 Uhr kam es vor der Kreuz-Apotheke (Hauptstraße) zur einem Vorfall, bei dem die Polizei ohne für die Demobeobachter ersichtlichen Grund Banner beschlagnahmte und im Anschluss gewaltsam einen Demonstranten in Gewahrsam nahm.

Presseweg3 Presseweg2 Presseweg1
Ein deutlich gekennzeichneter Pressevertreter wurde hierbei von einem Polizisten unter Zwang vom Ort des Geschehens entfernt.

Platzwunde

Einige Straßen weiter sahen wir Demosanitäter, die Leute mit Kopf-Platzwunden verarzteten (12:13 Uhr).

Um 12:27 Uhr kam im Kessel am „Alten Kasten“ die erste Durchsage der Polizei:

„Es erfolgt eine Durchsage der Polizei. Bei Ihrer Ansammlung handelt es sich nicht um eine Versammlung, da Sie mit Gewalt versucht haben, eine Polizeiabsperrung zu durchbrechen. Sie sind hiermit in Gewahrsam genommen. Sie werden einzeln aus dem abgesperrten Bereich weggeführt und ihre Identität wird festgestellt. Verhalten Sie sich friedlich und folgen den Anweisungen der Polizei. Ende der Durchsage.“

Die Durchsage wurde wenige Minuten später ähnlich wiederholt, mit einem Schlusssatz, der zeigt, dass auch die Polizei nicht wirklich Gewalt von seiten der Demonstrant*innen beobachtet hatte: „Verhalten Sie sich weiterhin [sic!] friedlich und folgen Sie den Anweisungen der Polizei. “

In der Tat gab es keinen Versuch, die Absperrungen der Polizei zu durchbrechen. Ab ca. 12.45 Uhr begann die Polizei damit, die Demonstrant*innen zwecks Personalienaufnahme herauszuführen. Sie bestand dabei darauf, jede*n einzeln abzuführen, und trennte so Menschen voneinander, die gemeinsam zur Demo gekommen waren. Erst gegen 13:18 Uhr gelang es anderen Demonstrant*innen von außerhalb des Kessels am „Alten Kasten“, Trinkwasser durch die Polizeikette zu bringen. Die Versorgung der eingekesselten Demonstrant*innen ist an sich die Aufgabe der Polizei.

Zwei der Demobeobachter gerieten zu Beginn in diesen Kessel und blieben zunächst dort, um eventuelle Konflikte dort beobachten zu können. Als solche nicht mehr zu befürchten waren, wollten sie den Kessel verlassen, um die Demobeobachtung anderswo fortsetzen zu können. Die Polizisten an der Sperre verweigerten dies, weigerten sich außerdem, den Einsatzleiter, den Pressesprecher der Polizei, der am Vortag Telefonkontakt mit der Gruppe aufgenommen hatte, oder den nächsten Vorgesetzten zu kontaktieren oder zu bitten zur Absperrungslinie zu kommen. Sie weigerten sich zunächst auch, ihren eigenen Namen zu nennen (14:.10 Uhr). Erst nach einem Anruf an die Polizei von außen kam Bauer zur Absperrung; nach einigen Gesprächen und einem weiteren Telefonat konnten die beiden Demobeobachter dann den Kessel verlassen. Uns liegt außerdem ein namentlich gezeichneter Bericht vor, dass auch Demosanitäter in einem anderen Kessel festgehalten wurden. Erst Stunden nach der Einkesselung (ca. 14.00 Uhr), wurden Dixie-Toiletten zum Kessel gebracht, freilich nicht innerhalb desselben abgestellt, sodass die Benutzung nur nach Personalienfeststellung möglich war. Dies verzögerte Toilettengänge zusätzlich. Die Situation im Kessel vor dem „Alten Kasten“ blieb ruhig.

Kessel_Luftballons

Es wurde mit Luftballons gespielt, einige davon wurden auch zum Platzen gebracht. Böller o.ä. wurden dort mit Sicherheit nicht verwendet. Die beiden Demobeobachter gingen zur Polizeidirektion in der Schillerstraße, wo die in den Kesseln in Gewahrsam Genommenen hingebracht wurden. 2 Gefangenen-Busse standen vor dem Gebäude. Polizei zu Fuß und beritten, auch 2 Hundeführer, waren dort. Zu Zusammenstößen kam es mindestens während der Anwesenheit der Demobeobachter nicht. Gegen 15:34 Uhr passierte der Demonstrationszug der (Neo)Nazis den Klosterneuburg-Platz. Hier war eine der wenigen Gelegenheiten für die Demonstrant*innen, Protest in Form von Buh-Rufen und Sprechchören in Hörweite der (Neo)Nazis zu platzieren.

Schillerplatz_Nazis

Gegen 15:49 Uhr gelang es einer Gruppe von etwa 40 Demonstrant*innen durch das Parkhaus am Schillerplatz bis in Sicht- und Hörweite der (Neo)Nazis auf dem Schillerplatz vorzudringen und dort in Form einer Spontandemonstration verbalen Gegenprotest zu äußern (Sprechchöre, Buh-Rufe).

ParkhausPolizisten

Gegen 16:20 Uhr wurde der Parkhausausgang, der als Zugang zur Spontandemonstration diente, durch mehrere Polizist*innen versperrt. Andere Zugangswege waren bereits durch Polizei versperrt. Somit war es nicht mehr möglich, den Ort des Geschehens zu verlassen. Pressevertreter*innen mit Presseausweis, Demonstrant*innen, sowie Demobeobachtern wurde ein Passieren der Polizeiabsperrungen nicht gestattet. Gegen 16:45 Uhr war der Abgang ins Parkhaus wieder passierbar – mehrere Demonstrant*innen, sowie der anwesende Demobeobachter verließen die durchgehend friedlichen Gegenproteste. Die Demobeobachter waren während der Abschlusskundgebung der Nazis wieder vor dem Bahnhof. Dort war nur noch eine mäßige Zahl von Demonstrant*innen (etwas über 100). Zwischen Bahnhof und Gerberstraße bestand noch ein Polizeikessel, der auch lange nach Abfahrt der Nazis aufrecht erhalten wurde (von mindestens 13:54 Uhr – zu diesem Zeitpunkt wurden Dixie-Toiletten für diesen Kessel angeliefert bis mindestens 18.30 Uhr). Die Demobeobachtung wurde zu dieser Zeit beendet.

Bewertung

Die Stadt und die Polizei sahen sich durch die Verwaltungsgerichte gezwungen, den Nazis eine Demonstration zu ermöglichen. Zugleich war aber das Demonstrationsrecht der Gegner zu achten und zu schützen. Bei einem unmittelbaren Zusammentreffen von Teilhnehmer*innen der beiden Demos wurden heftige Zusammenstöße mit der Gefahr von Verletzten auf beiden Seiten befürchtet. Also war auch das Ziel, einen gewissen räumlichen Abstand zu wahren, legitim. Legitim war auf der anderen Seite auch das Ziel der Nazigegner, sich dem Auftreten der Nazis in den Weg zu stellen und ihren Willen, faschistischem Denken (erst recht Handeln) keinen Raum zu gewähren. Spontane Demonstrationen waren in dieser Situation angemessen, ja unvermeidlich. Diesen angemessenen Raum zu geben, wäre Aufgabe von Stadt und Polizei gewesen. Entsprechend war auch das Verhalten der Polizei im Einzelnen grob unverhältnismäßig. Gewalt in Form von Einsatz von Schlagstock und Pfefferspray wendete die Polizei keinesfalls nur zur Selbstverteidigung an, sondern überwiegend um Nazigegner*Innen vom Aufmarschgebiet der Neonazis fernzuhalten. Dies erklärt auch die hohe Zahl verletzter Demonstrant*Innen. So haben die Demosanitäter nach eigenen Angaben 64 Patient*Innen behandelt, von denen 49 durch Pfefferspray verletzt wurden. Eine Person erlitt infolge von Pfefferspray einen Asthmaanfall. Mehrere Personen erlitten schwerere Verletzungen. Wir konnten keinen Fall von Gewalt seitens der Demonstrant*innen beobachten, der diese polizeiliche Gegengewalt erklären könnte. Die Demonstrant*innen hatten im Vorfeld der Demonstration den Konsens gefasst, dass von ihnen keine Eskalation ausgehen sollte. Selbst wenn dieser Konsens von uns unbeobachtet verletzt worden sein sollte, so können wir zumindest sicher sagen und belegen, dass es im Vorfeld des größten Kessels in der Schlossstraße/Ecke Lange Straße keine Gewalt gegeben hat. Das langsame Vorrücken der Antifaschist*innen gegen eine Polizeikette und die anschließenden Versuche, verschiedene Polizeiketten zu umlaufen, wurde von der Polizei zum gewaltsamen Durchbruchsversuch umgedeutet. Abgesehen davon, dass diesem Kessel mit hoher Sicherheit die Rechtsgrundlage fehlte (vgl. oben zitierte Durchsagen der Polizei), wurden in ihm auch sehr viele Menschen festgehalten, die von der Meile der Demokratie nachströmten und niemals versucht hatten, eine Polizeisperre zu umgehen. Der Kessel, wie andere Kessel auch, blieb über einen unverhältnismäßig langen Zeitraum bestehen. Toiletten wurden zu spät zur Verfügung gestellt und außerhalb des Kessels aufgestellt, was zu zusätzlichen Verzögerungen führte. Die zahlreich vorhandenen Beamt*innen des AntiKonflikt-Teams mieden die Kessel, obwohl sie gerade hier nötig gewesen wären. So wurden auch zwei Demobeobachter im Kessel festgehalten, bis ein Kontakt zum Polizeipressesprecher hergestellt werden konnte. Wiederholt kam es zu Behinderungen von Presse, sowie Demobeobachtern. Die Deutsche Journalisten Union kritisiert die Behandlung von Pressevertreter*innen an diesem Tag eigens in einer Pressemitteilung.

Beim letzten großen Neonaziaufmarsch im Südwesten am 25.05.2013 in Karlsruhe hat die Demobeobachtungsgruppe Südwest die Grundausrichtung des Polizeieinsatzes ausdrücklich gelobt. In Karlsruhe hatte die Polizei ein Deeskalationskonzept und ermöglichte den Gegendemonstrant*innen Protest in Sicht- und Hörweite der Adressat*innen. In Göppingen war beides offenbar nicht gewollt.

Antinazidemo in Karlsruhe

Die Stadt Karlsruhe unterstützte die Gegner des Naziaufmarschs mit einer eigenen Kundgebung mit prominenten Rednern, angefangen mit OB Mentrup in der Nähe des Bahnhofs, von wo aus die Nazidemo starten sollte.
Der Demonstrationszug begann am Tivoli ca. 10:45 Uhr. Vor der Unterführung der Ettlinger Straße spaltete sich ein Großteil der Demonstration ab und zog auf der Poststraße zum von Polizeigittern umschlossenen Bahnhofsvorplatz. Die Polizei versuchte nicht, die Menge aufzuhalten. Nach und nach wurden völlig ohne Zwischenfälle fünf Blockadepunkte mit jeweils mehreren Hundert Personen besetzt. Die vom Bahnhofsvorplatz wegführenden Straßen (Poststraße, Am Stadtgarten, Bahnhofsstraße, Ebertstraße, Victor-Gollancz-Straße) wurden blockiert.
Die Nazis wurden in und vor dem Bahnhof festgehalten. Bis zu ihrer Abfahrt blieb auf vier der Blockadepunkte alles ruhig. Einzig in der Bahnhofsstraße kam es zu Konflikten. Ab etwa 11:45 Uhr war eine BFE-Hundertschaft im Rücken der Demo Richtung Stadt präsent. In Gruppen von fünf Beamten gingen sie immer wieder in die Demo hinein und wurden teilweise von den DemonstrantInnen wieder verdrängt. Dabei kam es zu Schubsereien.
Um 14:07 Uhr kam es zu Schlagstock- und Pfeffersprayeinsatz an den Polizeigittern. Ein Böller wurde gezündet. Pressevertreter, die sich auf dem Bahnhofsvorplatz befanden, wurden nicht zur Auseinandersetzung am Gitter durchgelassen. Zuvor waren nach übereinstimmenden Berichten von Polizei, Presse und einer Antifa-Gruppe Bananen, Farbbeutel, Eier und andere Gegenstände auf die Polizeikette geworfen worden. Wir können dies nicht verifizieren, da zum fraglichen Zeitpunkt keinE DemobeobachterIn vor Ort war.
Um 15:40 Uhr formierte sich eine Spontandemo. Die Nazis hatten zu diesem Zeitpunkt den Bahnhofsvorplatz bereits wieder verlassen. Die BFE-Einheit drang noch während der Aufstellung zur Demo in diese ein. Es kam zu Schubsereien und Schlägen. Ein weiterer Böller wurde gezündet.
Die DemonstrantInnen zogen zur Poststraße, wo sie sich mit DemonstrantInnen von anderen Blockadepunkten für eine Spontandemo durch die Südstadt sammeln wollten.
Als die DemonstrantInnen in die Poststraße einbogen, wurden sie seitlich von BFE-Einheiten überholt, die sich ohne erkennbaren Grund – die Stimmung war eigentlich entspannt, da die Nazis Karlsruhe bereits verlassen hatten – rabiat den Weg frei boxten. Ein Demonstrant trat einen dieser Polizisten, was dazu führte, die einige Polizisten Schlagstock schwingend seitlich in die Demo hineinliefen. Mehrere DemonstrantInnen wurden in dieser Situation durch Schlagstöcke und Tritte verletzt. Eine Person wurde durch einen BFE-Greiftrupp in den Hinterhof eines Hotels verschleppt. Er kam nach einiger Zeit nach heftigen Forderungen der Demonstranten unverletzt frei. Die Demonstration durch die Südstadt, für die inzwischen ein Versammlungsleiter gefunden worden war, verlief von da an friedlich, wurde jedoch durch ein Spalier von Polizeikräften begleitet.
Die Demonstration löste sich ca. 17:00 Uhr vor dem Bahnhof auf.
Bewertung:
Das Einsatzkonzept der Polizei war erkennbar bestrebt, Konflikte mit den Nazigegnern zu vermeiden. Diese konnten ihr Versammlungsrecht wahrnehmen und taten dies zu Tausenden. Sehr zu kritisieren und im Bruch mit diesem Einsatzkonzept war das andauernde Vordringen von BFE-Einheiten in die Versammlung, insbesondere in der Bahnhofsstraße. Solches Verhalten erzeugt immer Konflikte. Mehr Zurückhaltung seitens der Polizei hätte die Stimmung an diesem Blockadepunkt höchstwahrscheinlich deutlich entspannt, wie dies auch bei den anderen Punkten der Fall war.
Der Polizeieinsatz in der Poststraße bei der Bildung der Spontandemo war unüberlegt. Geradezu panisch zog die Polizei hier in aller Eile ihre Kräfte zusammen, obwohl es durch die Abreise der Nazis und die erkennbar entspannte Stimmung der DemonstrantInnen aus dem linken Lager keinen Grund dazu gab. Die herbei laufenden Kräfte schubsten sich den Weg frei und lösten so eine Eskalation aus. Abgesehen von einem Demonstranten, der einem Polizisten in den Rücken trat, blieben dabei alle DemonstrantInnen friedlich und zogen sich hinter ihre Banner zurück. Diejenigen, die dies nicht schnell genug schafften, wurden völlig ohne erkennbaren Grund von Polizisten angegriffen und mit Schlagstockhieben und Tritten abgedrängt. Dieser Einsatz unmittelbaren Zwangs war unserer Beurteilung nach unbegründbar und damit rechtswidrig. Ob das gewaltsame Herausziehen und Verbringen eines Demonstranten in einen Hinterhof wegen einer angeblichen Beleidigung von Polizeibeamten verhältnismäßig war, ist zumindest stark anzuzweifeln und hätte leicht zu einer weiteren Eskalation führen können. Positiv ist anzumerken, dass anwesende Demoanitäter in den Hinterhof durchgelassen worden sind. Dies musste allerdings erst aus- verhandelt werden. Auch hier hätte eine schnellere versammlungsfreundliche Entscheidung die Situation deutlich entspannt.
Die Begleitung der anschließenden Spontandemo durch ein Polizeispalier störte zutiefst die Außenwirkung der Demo. Als Außenstehender musste man fälschlicherweise den Eindruck erhalten, es handele sich um eine gefährliche Veranstaltung.
Abermals zu kritisieren ist der Einsatz von Hunden am Hauptbahnhof durch die Bundespolizei und von Pferden auf dem Bahnhofsvorplatz durch die Bereitschaftspolizei. Polizeihunde sind schwer zu kontrollieren und angriffslustig, Pferde wiederum sind von Natur aus Fluchttiere und leicht durch laute Geräusch zu erschrecken. Polizeitiere stellen ein unberechenbares Element in einer ohnehin schon angespannten Situation dar. Sie versetzen DemonstrantInnen und PolizistInnen gleichermaßen in Unruhe.

Außerdem war die Lautsprecheranlage der Polizei deutlich unterdimensioniert und von schlechter Qualität, so dass die Durchsagen an der Bahnhofsstraße nicht zu verstehen waren. Sollte es Auflösungs- oder Räumungsdurchsagen gegeben haben, wären diese kaum rechtskräftig gewesen.


Zu diesem Bericht gab es ein ausführliches Radio-Interview im Karlsruher freien Radio QUERFUNK, welches hier nachgehört werden kann.