Unnötige Gewaltanwendung der Stuttgarter Polizei

Demo für „Menschenrecht auf Wohnen“ und gegen Wohnungsnot in Stuttgart am 6. April 2019

In Koordination mit anderen Städten fand am Samstag auch in Stuttgart eine Kundgebung mit Demonstrationszug eines breiten Bündnisses einschließlich von Parteien und Gewerkschaften statt. Einzelne Gruppen von Betroffenen wie Geflüchtete und Studenten waren mit eigenen Plakaten da. Im Demonstrationszug gab es auch einen „Besetzen“-Block .

Nach der Kundgebung mit vielerlei Wort- und Musikbeiträgen setzte sich der Demozug in Richtung Marienplatz über Charlotten-, Olga-, Katharinen-, Cotta- und Tübinger Straße in Bewegung. Er war beeindruckend groß, unsre Zählung ergab aber nur etwa 1500 Teilnehmer*innen.
Voraus fuhren eine Reihe von Polizeifahrzeugen, es folgten etwa zwei Dutzend Polizist*innen zu Fuß: Die Polizei schien sich auf Aktionen aus dem Demozug heraus eingestellt zu haben. Dann folgte der Demozug, angeführt von einem großen Lautsprecherwagen.
In der Katharinenstraße kam der Zug an Gebäuden von Vonovia und der GWG-Gruppe vorbei. Diese wurden durch einige Polizist*innen besonders geschützt. Einige kleine Farbbeutel flogen.
Der Zug zog in der Heusteigstraße an einigem auffälligen „Leerstand“ vorbei – nach übereinstimmenden Berichten versuchten einige Menschen Plakate an die Wände zu kleben, die Polizei verhinderte dies und setzte dabei Pfefferspray ein.
Ohne weitere Zwischenfälle verlief die Demonstration bis zum Marienplatz. Dort wurde die Demo beendet, verbunden mit dem Hinweis, dass (sinngemäß) der Stuttgarter Süden und Heslach ein lebendiger Teil der Stadt seien und zu weiterem Verweilen einlüden.

Plötzlich heulten Polizeisirenen, Polizeiautos und Motorräder fuhren schnell und mit Blaulicht in südlicher Richtung davon. Ein spontaner Demozug (ca. 120 Teilnehmer*innen) bildete sich am Anfang der Böblinger Straße. Dies ist auch der Weg zum Lilo-Herrmann-Zentrum, einem linken Hausprojekt mit Veranstaltungsräumen. Dass spontane Demonstrationen möglich sind, ist unstrittig. Meist sucht die Polizei dann eine*n Versammlungsleiter*in oder Ansprechpartner. Dies schien auch diesmal geschehen zu sein. Dennoch wurde dieser Demozug von einer starken Polizeikette in Höhe der Tannenstraße aufgehalten. Die Spitze des Zuges drängte gegen diese Kette, ohne Erfolg (und auch ohne Aussicht darauf). Darüber hinausgehende Handlungen, wie z.B. das Werfen von Flaschen o.ä., haben wir nicht beobachtet. Hier kam es erneut zu mehrfachem Einsatz von Pfefferspray. Die Böblinger Straße wurde auch auf der anderen (nördlichen) Seite durch eine Polizeikette gesperrt. Da dies unangekündigt gemacht wurde, fanden sich Passanten, z.T. mit Kindern, plötzlich zwischen Polizeiketten. Schließlich wurde die nördliche Sperre aufgehoben, der Demozug ging zurück Richtung Marienplatz und löste sich dort auf.
Später erfuhren wir zufällig, dass in der Böblinger Straße ein Gebäude von Hofbräu besetzt worden war. Dort fanden wir eine entspannte Atmosphäre, Menschen saßen an Biertischgarnituren, andere spielten Ballspiele. Das Gebäude stehe seit mehreren Jahren leer, hieß es. Es ist kein Wohnhaus, die Besetzung war dementsprechend nicht auf Dauer angelegt.

Politische Forderungen und Kampagnen für eine andere Wohnungsbaupolitik sind nicht neu. Dabei Aktive sehen eine Verschärfung der Wohnungsnot und doch kaum Änderungen in der Politik. Dass daraus der Wunsch entsteht, stärkeren Druck zu erzeugen, z.B. in Form von Hausbesetzungen, ist nicht überraschend, dass die Polizei das auftragsgemäß verhindern möchte, ebenso. Es geht um die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Dass Pfefferspray das mildeste Mittel gewesen sein soll, um Plakatieren, also eine Sachbeschädigung überschaubarer Größe, zu verhindern, kann nicht sein.

Entsprechend bei der unangemeldeten Demo in der Böblinger Straße. Mit den dort eingesetzten Polizeikräften hätte man das Hofbräugebäude bequem gegen unbefugtes Betreten sichern können. Und selbst die Sperrung des Wegs für die Demo auf der Böblinger Straße, so sie denn nötig gewesen sein sollte, war ja schon ohne Einsatz von Pfefferspray erfolgreich. Der Pfeffersprayeinsatz mag vielen, die nicht in unmittelbarer Nähe waren, kaum aufgefallen sein, doch er war massiv: Demosanitäter zählten 51 Verletzte. Auch andere, so z.B. die Stuttgarter Zeitung sehen das kritisch. Dort ist auch (in der Print-Ausgabe) ein Foto von Beobachternews, das einen solchen Einsatz zeigt, abgedruckt.

Zur Bewertung dieses Einsatzes muss man die Einsatzregeln der Polizei bedenken. „Bestimmungsgemäßer Einsatz“ heißt: zurückhaltend, in Notwehr, bei Untauglichkeit schwächerer Mittel und gezielt nur gegen einzelne Personen. Die Regeln mögen in den Ländern leicht variieren, für die Bundespolizei gilt:

Nach § 1 i. V. m. § 2 Absatz 4 des Gesetzes über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG) ist deren Gebrauch zulässig, wenn der Einsatz von körperlicher Gewalt und deren Hilfsmitteln keinen Erfolg versprechen und damit der Gebrauch von anderen Waffen (Hiebwaffen und Schusswaffen) vermieden werden kann. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu beachten.

Quelle: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/17/053/1705345.pdf. Das ist: Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abg. Ströbele u.a. zu Polizeieinsätzen bei Protesten gegen Castortransporte, Bundestagsdrucksache 17/5345 Frage Nr. 22.

Möchte die Polizei wirklich behaupten, sie habe vor der Alternative „Schießen oder Sprühen“ gestanden?

 

Bilder

Auf der Planie vor Beginn der Demo
Kundgebung auf dem Schlossplatz
Vor GWG-Gebäude
Besetztes Hofbräugebäude
Böblinger Straße

Zehn wichtige OSZE-Empfehlungen

Vergangene Woche haben wir die OSZE-Empfehlungen zur Versammlungsfreiheit veröffentlicht. Dabei haben wir großen Wert auf eine originalgetreue Übersetzung des Textes wert gelegt. Deswegen möchten wir hier die außer unserer Sicht wichtigsten Punkte noch einmal zusammenfassen:

1. Die Polizei soll DemonstrationsbeobachterInnen anerkennen und aktiv fördern, vor Ort größtmöglichen Zugang ermöglichen deren Befunde und Empfehlungen zur Kenntnis nehmen. Sie soll das Filmen und Fotografieren von polizeilichen Aktionen und individuellen Polizeibeamten erlauben, damit diese Aufzeichnungen gegebenenfalls als Beweismittel und disziplinarischen, verwaltungsrechtlichen oder strafrechtlichen Verfahren verwendet werden können. [69-71]

2. Die Polizei soll sicherstellen, dass die eingesetzten BeamtInnen einfach und eindeutig zu identifizieren sind, auch wenn sie Schutz- oder Spezialausrüstung tragen. [66]

3. Bei Anzeichen von Fehlverhalten oder konkreten Vorwürfen sollten Polizei und Staatsanwaltschaft unverzüglich, effektiv und unparteiisch ermitteln, auch wenn keine Anzeige vorliegt. [64-68]

4. Die Polizei bzw. deren politische Führung und der Gesetzgeber sollen detaillierte Grundsätze zum Filmen von Versammlungen erarbeiten und veröffentlichen. Das Filmen durch PolizistInnen muss kenntlich gemacht werden. Die Aufnahmen müssen gelöscht werden, wenn der Aufnahmegrund nicht länger relevant ist. [60-63]

5. Die Polizeitaktik muss auf Kommunikation, Deeskalation, Verhandlung und Dialog basieren. Sie darf die VersammlungsteilnehmerInnen nicht überraschen. Es müssen umfassende Richtlinien ausgearbeitet und veröffentlicht werden die beschreiben, unter welchen Umständen eine Versammlung aufgelöst wird. Einer freiwilligen Auflösung muss Vorrang gegeben werden, bevor unmittelbarer Zwang angewendet wird. Friedliche Versammlungen sollen nicht aus formalen Gründen aufgelöst werden.[38,55,56,46]

6. VersammlungsteilnehmerInnen dürfen nur in Gewahrsam genommen werden, wenn nachvollziehbare Gründe für den Freiheitsentzug vorliegen. Bei der Festnahme darf nicht auf exzessive Gewalt zurückgegriffen werden.[57]

7. Die Vorschriften zum Gebrauch von unmittelbarem Zwang und Waffen, z.B. Pfefferspray, müssen veröffentlicht werden. Der Einsatz muss notwendig und verhältnismäßig sein.[53,54]

8. Demonstrationen sollen in Hör- und Sichtweite ihrer Adressaten stattfinden können. Dies gilt auch für Gegendemonstrationen, die falls nötig zwar polizeilich getrennt, aber dennoch in gegenseitiger Hör- und Sichtweite stattfinden sollen.[19-24,48-52]

9. Die Ordnungsämter sollen statistisch erfassen, welche Art von Auflagen sie wie oft verhängt haben.[45]

10. Auflagen müssen frühzeitig dem Anmelder mitgeteilt werden, damit dieser den Rechtsweg bestreiten kann. Jede Auflage muss detailliert begründet werden.[14-20, 25-27]

Uns scheinen vier Prinzipien zentral zu sein, die auch die Polizeiexperten beim runden Tisch in Wien betont haben:

1. Jeder Polizist muss persönlich für sein Handeln haftbar sein (Accountability)

2. Polizeiliche Maßnahmen müssen vorhersehbar sein (No-Surprise)

3. Maßnahmen müssen sich möglichst zielgerichtet gegen Störer richten. Sie müssen notwendig und verhältnismäßig sein. Kessel, Masseningewahrsamnahmen und der Einsatz von Pfefferspray dürfen niemals leichtfertig erfolgen. (Proportionality)

4. Versammlungen sollen in Hör- und Sichtweite ihrer Adressaten ermöglicht werden (Sight- and Sound)

PM 1/2017 zum Tag der Deutschen Zukunft in Karlsruhe-Durlach

„Die international kritisierte deutsche Praxis, Demonstrationen bevorzugt mit Spezialeinheiten zu begleiten (sog. BFE-Einheiten), hat gestern in Karlsruhe zu massiven Einschränkungen der Versammlungsfreiheit geführt“, so Nero Grünen, der als Beobachter vor Ort war.

„Statt wie andere Länder zunächst lokale reguläre Kräfte der Schutzpolizei zur Versammlungsbegleitung einzusetzen, wurden die Gegendemonstrationen von auf schwierige Festnahmen und Crowd-Control spezialisierten Einheiten aus Baden-Württemberg, Thüringen, Hessen, Niedersachsen und Bayern eng begleitet. Ferner wurden eine Pferdestaffel und Hunde eingesetzt. So wurde ein Klima der Eskalation geschaffen, welches wir so bis jetzt noch nie beobachtet hatten“, so Grünen weiter.

Zur ersten größeren Konfrontation kam es, als eine Polizeisperre einer Gruppe von bis zu eintausend Gegendemonstranten den Weg versperrte.

Hinter der Absperrung [1] befand sich nicht etwa die Route der Partei „Die Rechte“. Das Ziel der Gegendemo war stattdessen eine angemeldete und genehmigte antifaschistische Mahnwache, die etwa 100 Meter entfernt war.

„Wir bezweifeln stark Sinn und Zweck sowie Rechtmäßigkeit dieser Polizeisperre. Da alle weiteren Konflikte hier ihren Ausgang fanden, ist das Klärungsbedürfnis hier besonders hoch“, bemerkt Grünen.

Die Spitze der Demonstration versuchte die PolizistInnen aus dem Weg zu drängen, was zu massivem Einsatz von Schlagstöcken und der potentiell tödlichen Waffe Pfefferspray führte.

Als Reaktion auf diesen Einsatz wurden nach unseren Beobachtungen zwei Böller und wenige teilweise gefüllte Plastikflaschen auf die Polizei geworfen. Auf Seiten der Gegendemonstranten kam es zu dutzenden Verletzten durch Pfefferspray und Schlagstöcke.

Bei diesem Einsatz wurde auch die Pressefreiheit grob missachtet: Journalisten wurde ein Platzverweis erteilt und sie wurden ebenso zurückgedrängt.

Der weitere Verlauf des Tages war davon geprägt, dass BFE-Einheiten immer wieder unerwartet und mit voller Wucht in die Demo drängten, um einzelne Beschuldigte herauszugreifen. Im Zuge dessen kam es zu zahlreichen Konflikten mit vielen weiteren Verletzten.

Ebenso gravierend wirkte ein Polizeieinsatz direkt an der angemeldeten Mahnwache in der Pforzheimer Straße. Dort hatten sich etwa eintausend GegendemonstrantInnen versammelt, um lautstark gegen die Neonazidemonstration zu protestieren, die gerade in Hör- und Sichtweite angekommen war.
Die Polizei vermutete nach eigenen Angaben einen Straftäter in der Menge, weswegen sie mit massivem Einsatz von hinten in die Mahnwache stürmte. Nachdem sich die Einheiten etwas zurückgezogen hatten, wurden vier laut bellende Polizeihunde ohne Maulkorb direkt hinter der Versammlung in Stellung gebracht.

„Unter diesen Umständen war der angemeldete und genehmigte Protest gegen die vorbeilaufende Neonazi-Demonstration nicht mehr möglich.

Im Rahmen des Versammlungsrechts ist das Recht auf Protest in Hör- und Sichtweite der Adressaten besonders geschützt. Eintausend Menschen dieses Grundrecht zu nehmen um einen Verdächtigen festzunehmen ist grob unverhältnismäßig. Mit dieser Begründung könnte fast jede größere Versammlung effektiv verhindert werden“, so Grünen abschließend.

[1] Die durchbrochene Polizeikette befand sich in der Neuensteinstraße unmittelbar vor der Lamprechtstraße. Auf der Lamprechtstraße selbst, die zur Die-Rechte-Demonstration geführt hätte, befand sich zusätzlich eine mit Gittern befestigte Polizeisperre. Die Demonstranten liefen jedoch Richtung Mahnwache weiter durch die Neuensteinstraße, wo sich unmittelbar vor der B3 eine weitere Polizeikette bildete. Dort kam es zu weiteren Auseinandersetzungen, als die Demonstration nicht zur Mahnwache an der B3 durchgelassen wurde.

„Reizgas-Einsatz der Polizei im Fadenkreuz“ – die Stuttgarter Nachrichten berichten

Die Stuttgarter Nachrichten nehmen heute in dem Artikel Reizgas-Einsatz der Polizei im Fadenkreuz auf unseren Bericht Bezug.

Eines der Videos um das es geht haben wir in Zeitlupe und verpixelt auf Youtube gestellt:

Laut Aussage eines Fachanwalts ist dies ein ziemlich eindeutiger Fall von  Körperverletzung im Amt und müsse als Offizialdelikt von der Staatsanwaltschaft aktiv verfolgt werden, auch wenn keine Strafanzeige gestellt wurde.

Laut dem Artikel der Stuttgarter Nachrichten wird nach beiden Seiten ermittelt – wir sind gespannt, ob die Ermittlungen in Richtung der Polizei weiter verfolgt werden.

Der Pressesprecher der Polizei wirft uns vor, Ursache und Wirkung zu vertauschen. Unseren Beobachtungen nach gab es für diesen Pfeffersprayeinsatz keine Ursache. Das Video spricht dabei für sich.

Ferner unterstellt er uns den Versuch, „die Angreifer“ als unschuldig und die Polizei als böse darzustellen. Unklar ist dabei, wen er mit „die Angreifer“ meint. Im Gegensatz zu Teilen der Polizei denken wir nicht in einem Freund-Feind-Schema. Wir erzählen keine Märchen von Guten und Bösen. Wir beobachten sehr differenziert und loben regelmäßig versammlungsfreundliches Verhalten der Polizei. Wenn es einen Anlass zu Polizeimaßnahmen gibt, kritisieren wir diese nicht. Aber darum geht es hier nicht. Die dokumentierten Einsätze von Pfefferspray sind nicht rechtfertigbar, weswegen der Polizeipressesprecher wohl auf Allgemeinplätze ausweicht.

Auch unsere Kritik an der Polizeitaktik ist berechtigt. Die Jagdszenen erinnerten an den schwarzen Donnerstag und waren völlig überzogen wenn man bedenkt, dass die Polizei eben nicht die Teilnehmer der „Demo für Alle“ beschützen musste, sondern eben nur deren Route. Die Demo selbst war noch weit entfernt. Dafür hätten wesentlich mildere Mittel zur Verfügung gestanden.

Abschließend sei noch erwähnt, dass die Anzahl eingesetzter BeamtInnen und deren Montur höchstens etwas mit der Gefahreneinschätzung der Polizei zu tun hat und eben nicht mit der tatsächlichen Gefahr vor Ort.

Bericht zu den Bildungsplandemos am 28.02.2016 in Stuttgart

Am 28.02.2016 fanden Demonstrationen für- bzw. gegen den grün-roten Bildungsplan statt. Dabei geht es hauptsächlich um die Frage, ob im Unterricht ein traditionelles Familienbild (Vater, Mutter und Kinder) oder ein inklusiveres Familienbild, welches beispielsweise auch Regenbogenfamilien und Patchwork-Familien mit einschließt, thematisiert werden sollten.

Verschärft wurde dieser Konflikt durch die Ansicht vieler BildungsplangegnerInnen, der neue Bildungsplan schwäche die traditionelle Familie, fördere Pädophilie oder erziehe Kinder zur Homosexualität.

Viele BildungsplanbefürworterInnen werfen den GegnerInnen Homophobie, also eine Form des gruppenbezogenen Menschenhass, und die Tolerierung von rechtsextremen Versammlungsteilnehmern vor. Nach übereinstimmenden Aussagen mehrerer KennerInnen der rechtsextremen Szene vor Ort nahmen in der Tat Neonazis, insbesondere der „Identitären Bewegung“, teil. Sie waren allerdings nicht ohne Weiteres durch Flaggen oder ähnliches als Neonazis erkennbar.

Die BildungsplanbefürworterInnen trafen sich ab 12 Uhr auf dem Schlossplatz, die GegnerInnen ab 14 Uhr auf dem Schillerplatz.

Demobeobachtung Südwest war mit vier BeobachterInnen vor Ort.

Vorkontrollen

Vorkontrollen
Vorkontrollen

Alle Menschen, die die Polizei ihrem Aussehen nach der Demo für den Bildungsplan zugerechnet haben, wurden an verschiedenen Kontrollpunkten rund um den Schlossplatz kontrolliert. Die mutmaßlichen VersammlungsteilnehmerInnen wurden abgetastet, Rucksäcke wurden durchsucht und teilweise Personalien kontrolliert. Es wurden Fahnenstangen und Generatortreibstoff beschlagnahmt. Letzterer wurde nach Verhandlungen wieder frei gegeben.

Proteste am Schillerplatz und an der Wegstrecke

Es gab schon während der Anreise der BildungsplangegnerInnen lautstarke Proteste rund um den Schillerplatz. Es kam zu verbalen Auseinandersetzungen, es wurde Konfetti geworfen und zeitweise auch der Nordeingang blockiert. Punktuell kam es zu Gerangel. Tätliche Übergriffe auf Bildungsplangegner haben wir nicht beobachtet. Die Bildungsplangegner mussten zwar beim Einlass zum Schillerplatz Verzögerungen hinnehmen oder auf andere Eingänge ausweichen, letztlich konnten sie jedoch vollumfänglich ihr Recht auf Versammlungsfreiheit ausüben.

Beim Durchgang zum Schillerplatz trafen Gegner und Befürworter aufeinander.
Beim Durchgang zum Schillerplatz trafen Gegner und Befürworter aufeinander.

Allerdings wurden nach Medienberichten drei Busse der Bildungsplangegner mit Steinen beworfen und beschädigt.

Das ebenfalls versammlungsrechtlich geschützte Anliegen der BildungsplanbefürworterInnen, in Hör- und Sichtweite ihrer Adressaten zu protestieren, wurde von der Polizei nur teilweise gewährleistet. Rund um den Schillerplatz gab es mit einer Ausnahme keine Probleme, höchstens kleinere Schubsereien im dichten Gedränge. Am Nordeingang kam es zu einem Pfeffersprayeinsatz mit einigen Verletzten und einer Ingewahrsamnahme

Die BildungsplangegnerInnen wurden nach ihrer Auftaktkundgebung als Demonstrationszug durch den oberirdischen Teil der Stadtautobahn (Hauptstätter Straße) geleitet, wendeten auf Höhe der Torstraße und liefen auf der anderen Seite der Hauptstätter Straße zurück zum Schillerplatz.

Während dieser Demo der Bildungsplangegner war an manchen Stellen Protest unmittelbar an der Wegstrecke möglich und verlief friedlich, an anderen Stellen schritt die Polizei jedoch mit massivem Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken ein, insbesondere an der Torstraße.

Vorfälle an der Torstraße / Hauptstätter Straße / Wilhelmsplatz

Größere Gruppen von GegendemonstrantInnen versammelten sich sowohl auf dem Wilhelmsplatz, kurz darauf auch an der Torstraße. Zu diesem Zeitpunkt war die Demo der BildungsplangegnerInnen noch nicht in Sichtweite. Der Ausgang der Torstraße wurde durch eine Polizeikette blockiert. Auch zwischen Wilhelmsplatz und Hauptstätter Straße befand sich Polizei.

Um 15:38 Uhr durchbrachen GegendemonstrantInnen die Polizeikette in der Torstraße. Dabei kam es zu Verletzten auf beiden Seiten. Dieser Vorfall stellte den einzigen von uns beobachteten Fall von Gewalt seitens der Gegendemonstranten dar. Die Polizeikette wurde innerhalb von Sekunden wiederhergestellt.

Gleichzeitig durchflossen einige Gegendemonstranten die lockere Polizeikette am Wilhelmsplatz.

In den darauf folgenden Minuten machte die Polizei Jagd auf alle GegendemonstrantInnen, die sich auf der Hauptstätter Straße aufhielten, obwohl keine Bedrohung für die PolizeibeamtInnen oder die Demo gegen den Bildungsplan vorlag, denn sie war zu diesem Zeitpunkt noch mehrere hundert Meter entfernt.

Um 15:40 Uhr traf die Reiterstaffel der Polizei ein und ging mit Pfefferspray gegen Kleingruppen und einzelne Personen ohne für uns ersichtlichen Grund vor. Um 15:41 Uhr sprühte ein Reiter gezielt und massiv Pfefferspray auf eine Frau, die sich gerade schlendernd vom Geschehen wegbewegte, offensichtlich keine Bedrohung darstellte und von der Attacke sichtlich überrascht wurde. Sie ging durch die Attacke zu Boden und wurde danach ein zweites Mal vom gleichen Reiter mit Pfefferspray attackiert.

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Um 15:42 Uhr setzte der selbe Reiter vor der Metzgerei Ergenzinger abermals Pfefferspray ohne ersichtlichen Grund ein.

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Um 15:43 Uhr räumte die Polizei die Kreuzung von verbliebenen ProtestiererInnen durch sich bewegende Polizeiketten. Dabei setzten sie kein Pfefferspray oder Schlagstöcke mehr ein.

Um 15:45 Uhr traf ein Krankenwagen ein, den Demosanitäter für Verletzte zur Richtstraße gerufen hatte. Der Krankenwagen parkte an der Richtstraße.

Um 15:46 Uhr trat ein Polizist an den geparkten Krankenwagen heran. Eine Minute später fuhr der Krankenwagen quer über die Kreuzung und versorgte stattdessen einen verletzten Polizisten.

Um 15:48 Uhr traf ein weiterer Krankenwagen ein, der zu dem verletzten Polizisten fuhr und dann von der Polizei zu den verletzten Demonstranten an der Richtstraße umgeleitet wurde.

Um 15:53 Uhr versuchte ein Demosanitäter in der Torstraße mit der Polizei über das Durchlassen eines Krankenwagens in Richtung Torstraße zu verhandeln. Dort gab es sehr viele Verletzte, darunter drei Verletzte mit stark blutenden Kopfverletzungen. Dies wurde von der Polizei verweigert. Es wurde erneut Pfefferspray gegen DemonstrantInnen eingesetzt, die lautstark, aber friedlich gegen diese Entscheidung protestierten.

Um 15:53 Uhr kam die Demospitze der BildungsplangegnerInnen an der Kreuzung an.

Der Protest gegen diese Demo verlief an der Kreuzung friedlich, im weiteren Verlauf der Hauptstätter Straße mischten sich auch Gruppen von Gegendemonstranten unter die Demo, ohne dass es zu Gewalt oder auch nur Behinderungen kam.

Über weite Teile des Weges wurden Bildungsplanbefürworter und Gegner nicht getrennt, ohne das es zu Gewalt kam
Über weite Teile des Weges wurden Bildungsplanbefürworter und Gegner nicht getrennt, ohne das es zu Gewalt kam

Vorfälle am Hauptbahnhof

Um 16:55 Uhr versammelten sich die meisten BildungsplanbefürworterInnen abermals an ihrer Bühne auf dem Schlossplatz. Vier Polizeibeamte durchquerten die Versammlung, was Protest auslöste, der schließlich zum Rückzug der Polizei aus der Versammlung führte.

Um 17 Uhr formierte sich eine Spontandemo und machte sich auf den Weg zum Hauptbahnhof. Sie kam ohne Zwischenfälle um 17:10 Uhr am Hauptbahnhof an und wurde von den VeranstalterInnen aufgelöst.

Um 17:25 Uhr wurden zwei BeobachterInnen im Hauptbahnhof von einer Familie angesprochen, die in der Unterführung offensichtlich Pfefferspray eingeatmet hatte. Nach Zeugenaussagen gab es in der Unterführung einen Zusammenstoß von mutmaßlichen Antifas, mutmaßlichen Neonazis und der Polizei. Rettungswagen, Bevölkerungsschutz und die Feuerwehr trafen am Bahnhof ein, mussten allerdings nicht aktiv werden.

Bewertung:

Zunächst kritisiert Demobeobachtung Südwest die Vorkontrollen durch die Polizei. Vorkontrollen haben eine einschüchternde und abschreckende Wirkung und stellen somit einen massiven Eingriff in das Recht auf Versammlungsfreiheit dar. Die Konfiszierung von Fahnenstangen war willkürlich, zumal es keine entsprechenden Auflagen gab.

Während der Demonstration am Schillerplatz filmte die Polizei über sehr lange Zeiträume aus verschiedenen Perspektiven (Kamerawagen, Handkameras) ohne ersichtlichen Grund. Eine solch umfängliche Überwachung von Demonstrationen stellt einen unzulässigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar. Entsprechende Urteile sind hier zu finden.

Besonders kritisieren wir den  Einsatz an der Kreuzung Torstraße / Hauptstätter Straße / Wilhelmsplatz.

Wegen des bisherigen Demonstrationsverlaufs und der Tatsache, dass die Demo der BildungsplangegnerInnen noch weit entfernt war, konnte die Polizei maximal von einer Blockadeabsicht der GegendemonstrantInnen ausgehen, nicht von einer Gefahr für die körperliche Unversehrtheit der BildungsplangegnerInnen.

In der Vergangenheit wurde solche Blockaden häufig zunächst geduldet. Dann wurde entschieden, ob es sich um eine rechtswidrige Totalblockade oder eine nach aktueller Rechtsprechung zulässige symbolische Blockade der Demonstration handelt.

Gegebenenfalls hätte die Polizei, wie in der Vergangenheit schon oft geschehen, die Blockade ohne Einsatz von Schlagstöcken oder Pfefferspray räumen bzw. ein paar Meter abdrängen können, um dem Demonstrationszug den nötigen Platz zu verschaffen.

Stattdessen entschloss sich die Polizei hier, die Kreuzung unter Einsatz von Schlagstock und Pfefferspray zu verteidigen. Eine Notwehrsituation bestand dabei höchstens beim Durchbruch einiger GegendemonstrantInnen durch die Polizeisperre in der Torstraße. Dies betrifft jedoch nur einen kleinen Anteil der Pfefferspray- und Schlagstockeinsätze.

Alle darauf folgenden Pfefferspray- und Schlagstockeinsätze, bei denen die Mehrzahl an Verletzungen entstanden sind, erachten wir als rechtswidrig.

Dies betrifft insbesondere die Pfeffersprayattacken auf die verbliebenen DemonstrantInnen in der Torstraße und die teilweise hinterhältigen Attacken auf Kleingruppen und Einzelpersonen, die insbesondere von einem Reiter der Reiterstaffel ausgingen und unserer Meinung nach den Tatbestand der Körperverletzung im Amt erfüllen.

Wir gehen nach unseren Beobachtungen davon aus, dass ein Teil der verletzten PolizistInnen durch „Friendly Fire“, also durch von der Polizei versprühtes Pfefferspray verletzt worden sind. Dies wurde uns von einem Pressefotografen, der entsprechendes Bildmaterial hatte, bestätigt.

An dieser Stelle verweisen wir betreffend der Gefahr und der rechtlichen Rahmenbedingungen des Einsatzes von Pfefferspray auf unserer Schwesterorganisation „BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“ aus Göttingen:
www.buerger-beobachten-polizei.de/index.php/thema-repression/pfefferspray

Die hohe Zahl an verletzten DemonstrantInnen, die von der Demosanitätsgruppe Süd-West gemeldet wurde,  steht in krassem Missverhältnis zum bis auf den Durchbruch an der Torstraße friedlichen Verlauf der Demo.

Auf vielen Anti-Nazi-Demos kommt es zu mehr und heftigeren Konflikten, aber weniger Verletzten.

Verantwortlich für das Missverhältnis ist nach Ansicht von Demobeobachtung Südwest der wiederholte, rechtswidrige und folgenschwere Gebrauch von Pfefferspray in Nicht-Notwehr-Situationen. Dies stellt im Übrigen auch einen Verstoß gegen die polizeilichen „Handhabungshinweise“  für den Einsatz von Pfefferspray dar.
(vgl. Kontext vom 13.08.2014, Absatz „Strengste Vorschriften für den Einsatz von Pfefferspray“)

Pressemitteilung zum 12. Oktober 2013 in Göppingen

Am gestrigen Samstag hat die Polizei in Göppingen einen Aufmarsch von Neonazis durch Anwendung roher Gewalt und vermutlich rechtswidrigen Masseningewahrsamnahmen von Neonazigegner*innen durchgesetzt. Gewalt in Form von Schlagstockeinsatz und Pfefferspray wendete die Polizei keinesfalls nur zur Selbstverteidigung an, sondern überwiegend um Nazigegner*Innen vom Aufmarschgebiet der Neonazis fernzuhalten.

Dies erklärt auch die hohe Zahl verletzter Demonstrant*Innen. So haben die Demosanitäter nach eigenen Angaben 64 Patient*Innen behandelt, von denen 49 durch Pfefferspray verletzt wurden. Eine Person erlitt infolge von Pfefferspray einen Asthmaanfall. Mehrere Personen erlitten schwerere Verletzungen.

Wir konnten keinen Fall von Gewalt seitens der Demonstrant*innen beobachten, der diese polizeiliche Gegengewalt erklären könnte. Die Demonstrant*innen hatten im Vorfeld der Demonstration den Konsens gefasst, dass von ihnen keine Eskalation ausgehen sollte.

Selbst wenn dieser Konsens von uns unbeobachtet verletzt worden sein sollte, so können wir zumindest sicher sagen und belegen, dass es im Vorfeld des größten Kessels in der Schlossstraße Ecke Lange Straße keine Gewalt gegeben hat. Das langsame Vorrücken der Antifaschist*innen gegen eine Polizeikette und die anschließenden Versuche, verschiedene Polizeiketten zu umlaufen, wurde von der Polizei zum gewaltsamen Durchbruchsversuch umgedeutet. Abgesehen davon, dass diesem Kessel mit hoher Sicherheit die Rechtsgrundlage fehlte, wurden in ihm in großer Zahl auch Menschen festgehalten, die von der Meile der Demokratie nach strömten und niemals versucht hatten, eine Polizeisperre zu umgehen.

Der Kessel, wie andere Kessel auch, blieb über einen unverhältnismäßig langen Zeitraum bestehen. Toiletten wurden zu spät zur Verfügung gestellt und außerhalb des Kessels aufgestellt, was zu zusätzlichen Verzögerungen führte. Die zahlreich vorhandenen Beamt*innen des AntiKonflikt-Teams mieden die Kessel, obwohl sie gerade hier nötig gewesen wären. So wurden auch zwei Demobeobachter über viele Stunden im Kessel festgehalten, bis ein Kontakt zum Polizeipressesprecher hergestellt werden konnte.

Beim letzten großen Neonaziaufmarsch im Südwesten am 25.05.2013 in Karlsruhe hat die Demobeobachtungsgruppe Südwest die Grundausrichtung des Polizeieinsatzes ausdrücklich gelobt. In Karlsruhe hatte die Polizei ein Deeskalationskonzept und ermöglichte den Gegendemonstrant*innen Protest in Sicht- und Hörreichweite der Adressat*innen. In Göppingen war beides leider Fehlanzeige. Die Demobeobachtungsgruppe Südwest wird ihr umfangreiches Video-, Foto- und Tonmaterial in den nächsten Tagen auswerten und dann einen Bericht auf demobeobachtung-suedwest.de veröffentlichen.

Bericht über die Demonstration(en) von „nazis stoppen“ gegen die Nazi-Demonstration in Göppingen

Auch die städtischen Auflagen für die antifaschistische Gegendemonstration wurden z.T. aufgehoben: So das Verbot von Transparenten, die länger als 3,50m sind und solchen, die seitlich getragen werden. Ebenfalls muss der Versammlungsleiter die Daten der Ordner nicht erfassen und der Polizei vorlegen. Bestand hatte die Auflage, die hohe Zahl von 25 Ordnern je 25 Demonstrationsteilnehmer*innen zu stellen (StZ 11.10.13). Zwei der angemeldeten Gegendemonstrationen wurden verboten. Die Aktivitäten von „Kreis Göppingen nazifrei“ begannen am Vorabend mit kulturellen Aktionen auf der Straße und in der Stadtbibliothek (ebd.) und wurden mit einer „Straße der Demokratie“ am Samstag von 10.00 bis 17.00 auf der Marktstraße, etwa zwischen Gerber- und Hauptstraße, fortgesetzt. Daneben war die Demonstration antifaschistischer Gruppen ab 11.00 angemeldet. Deren Ziel (lt. ihrer homepage): „Sie [die Nazis] sollen keinen Schritt laufen!“ und „Wir werden die Stadt mit Leben füllen, lautstark demonstrieren und die Nazis blockieren.“

Die Demobeobachtung begann ca. 9.20 mit zwei Personen, etwas später stieß eine dritte hinzu. Die Demobeobachter haben sich zeitweise aufgeteilt und waren zwar an verschiedenen Orten anwesend,  können allerdings nicht behaupten, alles gesehen zu haben. Insbesondere konnten die Demobeobachter die von Polizei und Presse berichteten Ereignisse an den Gleisen nicht beobachten.

Die Polizei war von Anfang an sehr stark präsent, auch mit berittener Polizei, Hundestaffel, ein bis zwei Hubschraubern und drei Wasserwerfern.

Um 10.17 Uhr sahen die Demobeobachter, dass etwa 10 junge Leute am Rande der „Straße der Demokratie“ eingekesselt worden waren. Anlass und Dauer dieses Kessels konnten wir nicht beobachten. Etwas später (10.30 – 11.00 Uhr) wurden einzelne Jugendliche, von deren Äußerem man vielleicht darauf schließen konnte, dass sie sich an den Protesten gegen den Naziaufmarsch beteiligen wollten, kontrolliert und ihr Gepäck durchsucht. Eine auf der Geislinger Staße stattfindende Kundgebung wurde vom Veranstalter um 11.26 Uhr für beendet erklärt. Daraufhin bildete sich spontan ein Demonstrationszug in Richtung der Demoroute der Nazis. Diesem schlossen sich viele Menschen an, die sich bis dahin auf der „Straße der Demokratie“ befanden. Dieser Demozug wurde schließlich durch eine Polizeikette und zwei berittene Polizist*innen gestoppt. Die Reiter*innen standen unmittelbar vor dem Frontbanner.

Pferd_Am_Banner

Ihre Pferde wurden durch Wedeln mit dem Banner irritiert und zusehends nervöser. Beide Reiter zogen sich nach einigen Minuten hinter die Polizistenkette zurück (11:38 Uhr).

Megafondurchsage

Die vorderste Reihe der Demonstrant*innen rückte nach entsprechender Megafondurchsage aus der Demo bis unmittelbar an die Polizeikette vor, drehte nach wenigen Minuten um und bog in die Schlossstraße ein, von wo aus Demonstrant*innen hoffen mochten, einen Zugang zu Orten näher an der Demo der Nazis zu finden (ca. 11.50 Uhr).

Pfeffer_AlterKasten

Im Durchlass/Torbogen des „Alten Kastens“ hielt die Polizei sie unter Einsatz von Pfefferspray zurück (11:51 Uhr).

Pfefferverletzter

Es gab behandlungsbedürftige Verletzte unter den Demonstranten. Ein Demobeobachter versuchte einem durch Pfefferspray Getroffenen zu helfen und wurde unter polizeilichem Zwang aus dem Durchgang beim „Alten Kasten“ gedrängt. Wegen der räumlichen Enge wirkte das Reizgas auch auf Polizist*innen; ob die davon Betroffenen unter die vom Polizeisprecher genannten Zahl der verletzten Polizisten gerechnet wurden, ist uns unbekannt. Einige Demonstrant*innen versuchten, durch schmale Durchlässe weiter ihrem Ziel näher zu kommen. Der Polizei gelang es schnell, diese Durchlässe zu blockieren. So entstand rasch und für die Betroffenen unvorhersehbar ein Kessel (ca. 11.54 Uhr).

Andere Gruppen von Demonstrant*innen, die nicht gekesselt waren, versuchten in den Nebenstraßen weiterzukommen.

Gewaltfestnahme_Kreuzapotheke

Um 12:07 Uhr kam es vor der Kreuz-Apotheke (Hauptstraße) zur einem Vorfall, bei dem die Polizei ohne für die Demobeobachter ersichtlichen Grund Banner beschlagnahmte und im Anschluss gewaltsam einen Demonstranten in Gewahrsam nahm.

Presseweg3 Presseweg2 Presseweg1
Ein deutlich gekennzeichneter Pressevertreter wurde hierbei von einem Polizisten unter Zwang vom Ort des Geschehens entfernt.

Platzwunde

Einige Straßen weiter sahen wir Demosanitäter, die Leute mit Kopf-Platzwunden verarzteten (12:13 Uhr).

Um 12:27 Uhr kam im Kessel am „Alten Kasten“ die erste Durchsage der Polizei:

„Es erfolgt eine Durchsage der Polizei. Bei Ihrer Ansammlung handelt es sich nicht um eine Versammlung, da Sie mit Gewalt versucht haben, eine Polizeiabsperrung zu durchbrechen. Sie sind hiermit in Gewahrsam genommen. Sie werden einzeln aus dem abgesperrten Bereich weggeführt und ihre Identität wird festgestellt. Verhalten Sie sich friedlich und folgen den Anweisungen der Polizei. Ende der Durchsage.“

Die Durchsage wurde wenige Minuten später ähnlich wiederholt, mit einem Schlusssatz, der zeigt, dass auch die Polizei nicht wirklich Gewalt von seiten der Demonstrant*innen beobachtet hatte: „Verhalten Sie sich weiterhin [sic!] friedlich und folgen Sie den Anweisungen der Polizei. “

In der Tat gab es keinen Versuch, die Absperrungen der Polizei zu durchbrechen. Ab ca. 12.45 Uhr begann die Polizei damit, die Demonstrant*innen zwecks Personalienaufnahme herauszuführen. Sie bestand dabei darauf, jede*n einzeln abzuführen, und trennte so Menschen voneinander, die gemeinsam zur Demo gekommen waren. Erst gegen 13:18 Uhr gelang es anderen Demonstrant*innen von außerhalb des Kessels am „Alten Kasten“, Trinkwasser durch die Polizeikette zu bringen. Die Versorgung der eingekesselten Demonstrant*innen ist an sich die Aufgabe der Polizei.

Zwei der Demobeobachter gerieten zu Beginn in diesen Kessel und blieben zunächst dort, um eventuelle Konflikte dort beobachten zu können. Als solche nicht mehr zu befürchten waren, wollten sie den Kessel verlassen, um die Demobeobachtung anderswo fortsetzen zu können. Die Polizisten an der Sperre verweigerten dies, weigerten sich außerdem, den Einsatzleiter, den Pressesprecher der Polizei, der am Vortag Telefonkontakt mit der Gruppe aufgenommen hatte, oder den nächsten Vorgesetzten zu kontaktieren oder zu bitten zur Absperrungslinie zu kommen. Sie weigerten sich zunächst auch, ihren eigenen Namen zu nennen (14:.10 Uhr). Erst nach einem Anruf an die Polizei von außen kam Bauer zur Absperrung; nach einigen Gesprächen und einem weiteren Telefonat konnten die beiden Demobeobachter dann den Kessel verlassen. Uns liegt außerdem ein namentlich gezeichneter Bericht vor, dass auch Demosanitäter in einem anderen Kessel festgehalten wurden. Erst Stunden nach der Einkesselung (ca. 14.00 Uhr), wurden Dixie-Toiletten zum Kessel gebracht, freilich nicht innerhalb desselben abgestellt, sodass die Benutzung nur nach Personalienfeststellung möglich war. Dies verzögerte Toilettengänge zusätzlich. Die Situation im Kessel vor dem „Alten Kasten“ blieb ruhig.

Kessel_Luftballons

Es wurde mit Luftballons gespielt, einige davon wurden auch zum Platzen gebracht. Böller o.ä. wurden dort mit Sicherheit nicht verwendet. Die beiden Demobeobachter gingen zur Polizeidirektion in der Schillerstraße, wo die in den Kesseln in Gewahrsam Genommenen hingebracht wurden. 2 Gefangenen-Busse standen vor dem Gebäude. Polizei zu Fuß und beritten, auch 2 Hundeführer, waren dort. Zu Zusammenstößen kam es mindestens während der Anwesenheit der Demobeobachter nicht. Gegen 15:34 Uhr passierte der Demonstrationszug der (Neo)Nazis den Klosterneuburg-Platz. Hier war eine der wenigen Gelegenheiten für die Demonstrant*innen, Protest in Form von Buh-Rufen und Sprechchören in Hörweite der (Neo)Nazis zu platzieren.

Schillerplatz_Nazis

Gegen 15:49 Uhr gelang es einer Gruppe von etwa 40 Demonstrant*innen durch das Parkhaus am Schillerplatz bis in Sicht- und Hörweite der (Neo)Nazis auf dem Schillerplatz vorzudringen und dort in Form einer Spontandemonstration verbalen Gegenprotest zu äußern (Sprechchöre, Buh-Rufe).

ParkhausPolizisten

Gegen 16:20 Uhr wurde der Parkhausausgang, der als Zugang zur Spontandemonstration diente, durch mehrere Polizist*innen versperrt. Andere Zugangswege waren bereits durch Polizei versperrt. Somit war es nicht mehr möglich, den Ort des Geschehens zu verlassen. Pressevertreter*innen mit Presseausweis, Demonstrant*innen, sowie Demobeobachtern wurde ein Passieren der Polizeiabsperrungen nicht gestattet. Gegen 16:45 Uhr war der Abgang ins Parkhaus wieder passierbar – mehrere Demonstrant*innen, sowie der anwesende Demobeobachter verließen die durchgehend friedlichen Gegenproteste. Die Demobeobachter waren während der Abschlusskundgebung der Nazis wieder vor dem Bahnhof. Dort war nur noch eine mäßige Zahl von Demonstrant*innen (etwas über 100). Zwischen Bahnhof und Gerberstraße bestand noch ein Polizeikessel, der auch lange nach Abfahrt der Nazis aufrecht erhalten wurde (von mindestens 13:54 Uhr – zu diesem Zeitpunkt wurden Dixie-Toiletten für diesen Kessel angeliefert bis mindestens 18.30 Uhr). Die Demobeobachtung wurde zu dieser Zeit beendet.

Bewertung

Die Stadt und die Polizei sahen sich durch die Verwaltungsgerichte gezwungen, den Nazis eine Demonstration zu ermöglichen. Zugleich war aber das Demonstrationsrecht der Gegner zu achten und zu schützen. Bei einem unmittelbaren Zusammentreffen von Teilhnehmer*innen der beiden Demos wurden heftige Zusammenstöße mit der Gefahr von Verletzten auf beiden Seiten befürchtet. Also war auch das Ziel, einen gewissen räumlichen Abstand zu wahren, legitim. Legitim war auf der anderen Seite auch das Ziel der Nazigegner, sich dem Auftreten der Nazis in den Weg zu stellen und ihren Willen, faschistischem Denken (erst recht Handeln) keinen Raum zu gewähren. Spontane Demonstrationen waren in dieser Situation angemessen, ja unvermeidlich. Diesen angemessenen Raum zu geben, wäre Aufgabe von Stadt und Polizei gewesen. Entsprechend war auch das Verhalten der Polizei im Einzelnen grob unverhältnismäßig. Gewalt in Form von Einsatz von Schlagstock und Pfefferspray wendete die Polizei keinesfalls nur zur Selbstverteidigung an, sondern überwiegend um Nazigegner*Innen vom Aufmarschgebiet der Neonazis fernzuhalten. Dies erklärt auch die hohe Zahl verletzter Demonstrant*Innen. So haben die Demosanitäter nach eigenen Angaben 64 Patient*Innen behandelt, von denen 49 durch Pfefferspray verletzt wurden. Eine Person erlitt infolge von Pfefferspray einen Asthmaanfall. Mehrere Personen erlitten schwerere Verletzungen. Wir konnten keinen Fall von Gewalt seitens der Demonstrant*innen beobachten, der diese polizeiliche Gegengewalt erklären könnte. Die Demonstrant*innen hatten im Vorfeld der Demonstration den Konsens gefasst, dass von ihnen keine Eskalation ausgehen sollte. Selbst wenn dieser Konsens von uns unbeobachtet verletzt worden sein sollte, so können wir zumindest sicher sagen und belegen, dass es im Vorfeld des größten Kessels in der Schlossstraße/Ecke Lange Straße keine Gewalt gegeben hat. Das langsame Vorrücken der Antifaschist*innen gegen eine Polizeikette und die anschließenden Versuche, verschiedene Polizeiketten zu umlaufen, wurde von der Polizei zum gewaltsamen Durchbruchsversuch umgedeutet. Abgesehen davon, dass diesem Kessel mit hoher Sicherheit die Rechtsgrundlage fehlte (vgl. oben zitierte Durchsagen der Polizei), wurden in ihm auch sehr viele Menschen festgehalten, die von der Meile der Demokratie nachströmten und niemals versucht hatten, eine Polizeisperre zu umgehen. Der Kessel, wie andere Kessel auch, blieb über einen unverhältnismäßig langen Zeitraum bestehen. Toiletten wurden zu spät zur Verfügung gestellt und außerhalb des Kessels aufgestellt, was zu zusätzlichen Verzögerungen führte. Die zahlreich vorhandenen Beamt*innen des AntiKonflikt-Teams mieden die Kessel, obwohl sie gerade hier nötig gewesen wären. So wurden auch zwei Demobeobachter im Kessel festgehalten, bis ein Kontakt zum Polizeipressesprecher hergestellt werden konnte. Wiederholt kam es zu Behinderungen von Presse, sowie Demobeobachtern. Die Deutsche Journalisten Union kritisiert die Behandlung von Pressevertreter*innen an diesem Tag eigens in einer Pressemitteilung.

Beim letzten großen Neonaziaufmarsch im Südwesten am 25.05.2013 in Karlsruhe hat die Demobeobachtungsgruppe Südwest die Grundausrichtung des Polizeieinsatzes ausdrücklich gelobt. In Karlsruhe hatte die Polizei ein Deeskalationskonzept und ermöglichte den Gegendemonstrant*innen Protest in Sicht- und Hörweite der Adressat*innen. In Göppingen war beides offenbar nicht gewollt.