Wir nehmen unsere Arbeit wieder auf – mit Rückenwind vom Bundesverfassungsgericht

Es stehen zwei notorisch konfliktträchtige Versammlungen an. Am 23. Februar findet auf dem Wartberg in Pforzheim eine rechtsradikale Kundgebung und entsprechende Proteste dagegen statt.

Am 28. Februar gibt es in Stuttgart Demonstrationen für und gegen den Grün-Roten Bildungsplan, spezifischer geht es um den Umgang mit Homosexualität und Gender Mainstreaming im Schulunterricht.

Wir werden an beiden Tagen vor Ort sein und auf unserer neuen Website von den entsprechenden Polizeieinsätzen berichten.
Rückenwind kommt dabei aus Karlsruhe, denn unsere Schwestergruppe „BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“ aus Göttingen hat schon letztes Jahr ein bemerkenswertes Urteil des Bundesverfassungsgerichts erstritten [1].

Demnach hat die Polizei nicht das Recht, die Personalien von DemobeobachterInnen festzustellen, weil diese mutmaßliche Rechtsverstöße der Polizei auf Fotos und Videos festhielten.

Die Polizei hatte sich vergebens auf das Kunsturheberrecht berufen.

Wir fordern, dass die Polizei in Baden-Württemberg dieses Urteil respektiert und uns ungestört unsere Arbeit machen lässt. Obwohl wir rechtlich nicht dazu verpflichtet wären, machen wir die Gesichter von PolizeibeamtInnen in unseren Veröffentlichen unkenntlich. Auch die augenscheinliche Angst mancher Polizeibeamte, wir würden unser Material zur sog. Feindbeobachtung z.B. an Antifa-Gruppen weitergeben, ist völlig unbegründet. Unser Material dient der Analyse und Bewertung von Polizeieinsätzen im Rahmen von Versammlungen und wird höchstens an vertrauenswürdige, hauptberufliche Journalisten sowie an Anwälte für Verfahren im Zusammenhang mit eben diesen Polizeieinsätzen herausgegeben.

Selbstredend verüben wir auch keine Straftaten, helfen nicht bei deren Verübung und behindern auch keine polizeilichen Maßnahmen. Wir werden aber weiterhin entschieden juristisch und politisch gegen Einschränkungen unserer Arbeit durch die Polizei vorgehen – daher hoffen wir, dass die Polizei uns und sich selbst unnötigen Stress erspart und uns einfach beobachten lässt.

Mit unserer Beobachtung muss die Polizei in einem demokratischen Rechtsstaat leben. Zu oft erleben wir die faktische Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch polizeiliche Maßnahmen, beispielsweise fotografiert und filmt die Polizei regelmäßig ohne rechtliche Grundlage Versammlungen, kesselt friedliche oder bis auf Ausnahmen friedliche Versammlungen ein (z.B. in Pforzheim 2012 oder in Göppingen 2013) oder setzt Pfefferspray in Nicht-Notwehr Situationen ein. Diese und andere Rechtsverstöße zu dokumentieren ist unser Anliegen, damit das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht nur auf dem Papier, sondern auch auf der Straße Gültigkeit hat.

Das Recht auf Versammlungsfreiheit ist ein wichtiges Grundrecht. Demonstrationen gegen Atomkraft oder Stuttgart 21 haben auch in der jüngeren bundesdeutschen Geschichte politische Prozesse geprägt. Gegendemonstrationen 2005-2008 trugen entschieden dazu bei, dass die NPD trotz erheblicher Anstrengungen keine rechtsextreme Bewegung in der Pfalz etablieren konnte.

Dennoch ist die Versammlungsfreiheit ein ungeliebtes Grundrecht. Law and Order-Politiker und die beiden Polizeigewerkschaften fordern in einer Art Überbietungswettbewerb immer wieder Gesetzesverschärfungen.

Dabei sieht man in Polen, Ungarn und Spanien, wie schnell sicher geglaubte demokratische Errungenschaften ins Wanken geraten und der Rechtsstaat anfängt zu bröckeln. Deswegen haben wir uns der Verteidigung des für die Demokratie integral wichtigen Grundrechts auf Versammlungsfreiheit verschrieben. Wir werden auch 2016 unsere Beobachtungen zur Gewährleistung dieses Rechts vor Ort auf der Straße fortsetzen. Außerdem werden wir ab sofort den Umgang von Politik, Medien und Justiz mit diesem Grundrecht dokumentieren und kommentieren. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen!

[1] http://www.buerger-beobachten-polizei.de/index.php/oeffentlichkeitsarbeit/pressemitteilungen/109-bundesverfassungsgericht-unterstreicht-recht-auf-dokumentation-von-rechtsverstoessen-durch-die-polizei-bei-demonstrationen-zu-beweiszwecken